Angesichts der Ansiedlung von TNT in Lüttich, UPS in Köln-Bonn und DHL in Leipzig/Halle muss es nicht verwundern, dass dem Hahn nur die amerikanischen und deutschen Militärlogistiker, die russische Aeroflot mit ihrem völlig veraltetem und überlauten Fluggerät sowie Krauder wie Egypt Air und Air Armenia übrig bleiben.

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Ausbau des europäischen Air Hubs von TNT in Lüttich

Hier vergeht die Nacht wie im Fluge: Das europäische Air Hub in Lüttich ist das wichtigste Luftdrehkreuz des Expressdienstleisters TNT. Allnächtlich werden hier im Durchschnitt 90 000 Sendungen umgeschlagen. Und weil der Expressmarkt weiter boomt, baut TNT die Anlage massiv aus. - Eine Exklusivreportage

Noch liegt ungewohnte Ruhe über den Sortierbändern, die sich bis ans kaum mehr einsehbare gegenüberliegende Ende der Umschlag- und Sortierhalle erstrecken. Mehr als vier Fußballfelder hätten unter dem Hallendach Platz. "1.200 Menschen arbeiten in drei Schichten im Air Hub Lüttich, davon 840 Mitarbeiter in der Sendungsabfertigung", zählt Thanh Doan, Personalverantwortlicher in Lüttich, auf.


650 Flugverbindungen in 23 Länder


Von denen sind momentan kaum welche zu sehen – vereinzelt fährt ein orange-weißer Gabelstapler vom Rollfeld in die Halle, Pakete dümpeln in loser Folge auf den Förderbändern. Dabei laufen hier die Fäden eines extrem leistungsfähigen Expressnetzwerkes zusammen. Das Sortierzentrum am Flughafen Lüttich-Bierset ist der zentrale Knotenpunkt des Luftnetzwerks von TNT Express in Europa. Über ihn unterhält der Dienstleister derzeit 650 feste Flugverbindungen zu 67 Flughäfen in 23 Ländern (Bild 1). Mehr als 70 Prozent der auf dem Kontinent beförderten internationalen Sendungen laufen über die Sortierbänder in der belgischen Industriestadt. Eine Ausnahme sind die "Cross Border"-Sendungen: Internationalen Sendungen, die nicht allzu weit ins Nachbarland hinein transportiert werden müssen, erspart TNT den "Umweg" und liefert sie wie eine innerdeutsche Sendung aus – oft per Direktfahrt zur ausländischen Empfangs-Niederlassung. Umgekehrt gilt: Bringt es Vorteile in der Laufzeit, werden auch innerdeutsche Sendungen per Luftfracht befördert. Manchmal über die deutschen Air Hubs, häufig aber eben via Lüttich. Der Kunde merkt davon nichts – außer vielleicht, dass er immer mehr schnelle Zustelloptionen erhält.


Vom Flugzeug direkt in das Sortierzentrum


Die Ziffern der großen Digitaluhr am Kopfende der Halle zeigen jetzt 22.30 Uhr, und der Betrieb nimmt mächtig Fahrt auf. Ein Frachtflieger nach dem anderen landet in Bierset und rollt in Richtung der TNT-Anlage. Mit den wendigen kleinen Zugmaschinen gelangen die "Iglu" genannten Luftfracht-Container nach dem Entladen in den Umschlagsbereich. Hier entnehmen die Arbeiter die Pakete und legen sie auf die "Air Feed"-Förderbänder (Bild 2), die sie in das Sortierzentrum bringen. Selbst Paletten können unmittelbar in den Sortiervorgang eingeschleust werden. "Der Aufbau der Anlage erlaubt uns, eine große Bandbreite von Sendungen umzuschlagen – von Dokumenten über Pakete bis hin zu palettierter Fracht", erklärt Mark Bradley, Global Operations Director des TNT-Konzerns. "Das birgt für unsere Kunden erhebliche Vorteile, denn dadurch werden alle Sendungen im System abgefertigt und erfordern keine Zeit raubenden Sonderbehandlungen. Selbst Gefahrgut in den von TNT akzeptierten Klassen stellt für uns kein Problem dar."

Das Air Hub betreibt derzeit drei sich ergänzende Anlagen: Die größte davon ist der automatische Sorter von Vanderlande Industries, der aus sechs "Posi-Sortern" besteht und eine Kapazität von 36.000 Packstücken pro Stunde besitzt. Die Sendungen werden über neun doppelte "Feeder"-Bänder eingeschleust – sechs von der "Luftseite" und drei von der "Straßenseite", an der die Lkw ihre Fracht entladen. Die Förderbänder des Sortierzentrums erreichen bereits heute eine Gesamtlänge von fast 7 km.

Dazu kommt ein automatisches ULD-System, wobei ULD für Unit Load Device steht, also für Ladeeinheiten wie Paletten – aber auch andere Ladungsträger wie Gitterboxen. Die von Dolmen/TCR hergestellte Anlage besteht aus einem ULD-Karussell und sechs ULD-Puffern. Die Ladungsträger werden über zwei doppelte ULD-Aufzüge zugeführt; für die Ausschleusung stehen sechs Einzelaufzüge zur Verfügung. Dieses System wird durch ein semiautomatisches ULD-Lagersystem ergänzt, das 400 Ladungsträger aufnehmen kann. Sie werden den Sortiersystemen von hier aus manuell zugeführt. Auch Dokumente, Packstücke für außereuropäische Destinationen, Gefahrgut und Sondergrößen, die nicht auf die Bänder passen, werden manuell sortiert.


Leitstand überwacht die Anlage


Die zentrale Überwachung, Steuerung und Analyse der Anlage und ihrer Leistung übernimmt "Scada" (Systems Control and Data Analysis). Das auf "InTouch (Master)"-Software basierende System erlaubt die Visualisierung des gesamten Prozesses auf einem wandfüllenden Display (Bild 3). Fast alle technischen Einzelkomponenten sind für eventuelle Alarme über Ethernet mit den Vanderlande FSC (Flow System Controllers) verbunden.

Pro Nacht schlägt TNT Express in seinem Air Hub zwischen 400 und 500 t Waren oder rund 90.000 Sendungen um. Diese Menge wird mit durchschnittlich 40 Flugzeugen und mehr als 125 Lkw distribuiert.

Das wichtigste "Sortierfenster" liegt zwischen 22.30 Uhr und 4.00 Uhr. Der Start ist vorgegeben durch die früheste Anlieferung aus den unterschiedlichen europäischen Ländern, das Ende bestimmt vom spätestmöglichen Abflug in das Air Hub der Empfangsregion. Der "Stundenplan" bestimmt, welche Destinationen wann sortiert, abgefertigt und beladen werden. Das erfordert akribische Planung.


Ausbaupläne für Air Hub Lüttich


Wegen der stark schwankenden Auslastung über den Tag und der extremen Spitzen stößt das größte und modernste TNT Air Hub nun an seine Grenzen – und soll deswegen ausgebaut werden. Das exponentiell steigende Sendungsvolumen im Expressbereich und der erhöhte Anteil der Luftfracht am Gesamtaufkommen machen es nötig.

Mit ihren Multimillionen-Investitionen haben DHL in Leipzig und UPS in Köln die Messlatten gelegt. Von den Stückzahlen dieser beiden Volumen-Riesen ist TNT Express als Premiumanbieter zwar einiges entfernt. Die Strategie hinter dem Ausbau und der Stärkung der Luftnetzwerke ist jedoch identisch. Gut ausgebaute Air Networks spielen eine immer größere Rolle im Wettbewerb um anspruchsvolle Geschäftskunden, dem Spezialsegment von TNT. Sie stellen die wichtigste Option dar, internationale Kurier- und Expresstransporte weiter zu beschleunigen – sei es für innereuropäische Sendungen oder für die Erschließung weiter entfernter Wachstumsmärkte wie China, Indien oder Russland.

Derzeit befindet sich TNT Express mitten in einem dreistufigen Ausbauprogramm, das bis 2010 ein Gesamtvolumen von fast 100 Mio. Euro umfasst. Dabei soll die heutige Belegschaft um 245 weitere Mitarbeiter verstärkt werden. In der ersten Phase des Programms zwischen 2004 und Mitte 2005 verdoppelte TNT u.a. die Sortierfläche des Hubs von 28.000 auf 56.000 qm, strukturierte die Sortiersysteme neu und erhöhte Durchsatzgeschwindigkeit und Effizienz. Im ersten Quartal 2007 wird eine ganz neue Sortiertechnik installiert.

"Die Investitionen tragen dazu bei, dass wir für unseren wachsenden Kundenstamm noch kürzere Laufzeiten realisieren können", erklärt Mark Bradley. "Gleichzeitig betont es unsere wirtschaftliche Bindung an den Raum Lüttich. TNT Express gehört zu den größten Arbeitgebern der Region."

Für den Standort sprechen viele Gründe, findet der für die Netzwerke verantwortliche Bradley: "Erstens liegt Lüttich relativ nah an unserem European Road Hub in Arnheim, dem zentralen Sortierzentrum für Straßentransporte. Zweitens befinden wir uns hier ziemlich genau in der Mitte des Dreiecks Amsterdam, Paris und Frankfurt, aus dem zwei Drittel der gesamten Luftfracht Europas versandt werden. Und drittens erreichen wir von Lüttich aus zwei Drittel unserer europäischen Kunden innerhalb von vier Stunden."

In Verbindung mit den geplanten Kapazitätssteigerungen eröffnet diese zentrale geographische Position weitere Zeitvorteile. Denn noch spätere Abholtermine bedeuten für viele Kunden einen Mehrwert. Versandhändler können z. B. Bestellungen bis in den späten Nachmittag hinein annehmen und den Empfängern dennoch die Waren bereits für den nächsten Tag versprechen.


Verdoppelung der Sortierkapazität


Bei der Erhöhung der Sortierkapazität setzt TNT Express gleich an mehreren Stellen an. Die auf dem Flughafen Lüttich-Bierset zur Verfügung stehende Reservefläche soll komplett bebaut werden. Die jetzige Halle erhält einen Anbau von 216 m Länge und 94 m Breite, der als eine bauliche und funktionale Einheit an den bestehenden Bau angeschlossen wird. Allein 194 m Hallenlänge sind den neuen Fördersystemen vorbehalten. Je eine Reparaturwerkstatt für Flurförderzeuge und Ladungsträger sowie großzügige Ladestationen für Flurförderzeuge teilen sich den übrigen Raum. Bis September 2007 soll dieser Bauabschnitt abgeschlossen sein.

Das "neue" Air Hub wird über ein redundantes Sortiersystem für förderbandfähige Sendungen verfügen, das an den bestehenden Sorter angeschlossen werden kann. Spiralrutschen bedienen die Luft- und Straßen-Ausschleusstationen. Das manuelle Sortieren wird mit Abschluss des Umbaus weitgehend der Vergangenheit angehören: Über mobile Fördereinheiten können demnächst auch Dokumente und Kleinteile in den neuen und alten Sorter eingeschleust werden. Zudem befindet sich ein Dokumentensorter mit einer Kapazität von 40.000 Stück pro Stunde in der Planung.

Insgesamt wird die Sortierkapazität für förderbandfähige Sendungen auf 52.000 Stück pro Stunde mehr als verdoppelt. Die sortierten Sendungen werden über 77 manuelle Ausschleus-Positionen verladen. Nachschub rollt zukünftig über mindestens 20 Ladetore von der Luftseite und zehn von der Straßenseite an.


Konzerneigene Airline wächst


"Noch in diesem Jahr werden wir außerdem weitere 100 Piloten einstellen und unsere Frachtflotte in den kommenden 16 Monaten um mindestens neun Flugzeuge ausbauen", so Bradley. Ende 2006 wird TNT Airways, die konzerneigene Airline, damit insgesamt 384 Piloten beschäftigen. Und mit den georderten zwei Maschinen vom Typ BAe 146, zwei Boeing B747–400 ERF und fünf Boeing B737 SF – die bis Mai 2007 ihren Dienst aufnehmen – stockt TNT seine Flotte auf 51 Flugzeuge auf. Die neuen Flugzeuge versetzen TNT Airways in die Lage, signifikant größere Volumen zu transportieren – auch dies eine klare Anforderung des Marktes, die der Dienstleister gerne aufnimmt, um mit Hilfe des Luftnetzwerks in Europa weiter zu wachsen.

Von Johannes Schnettler

(?? vom 27.10.2006)