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Den Billigflughäfen gehen die Passagiere aus


Ryanair zieht sich Stück für Stück aus Deutschland zurück. Hahn, Weeze & Co. verlieren bis zu 40 Prozent der Fluggäste. Das wird teuer für den Steuerzahler.

Von Dyrk Scherff

Knapp 200 Einwohner leben im Dörfchen Hahn. Die Nachbargemeinden sind auch nicht viel größer. Die nächste Stadt ist Simmern mit gerade 8000 Einwohnern - und schon 20 Kilometer entfernt. Mainz liegt eine Stunde weg.

So ist das eben im Hunsrück: schön und kaum bewohnt. Aber mit einem internationalen Flughafen. Das kann wohl kein Dorf in Deutschland bieten. Der Flughafen Hahn ist der größte Airport für Billigflieger in Deutschland. Ryanair hat hier ein wichtiges Drehkreuz aufgebaut. Ganz Europa ist von Hahn aus zu erreichen. 3,5 Millionen Menschen flogen 2010 von dort ab, etwa so viele wie von Nürnberg. Sie mussten naturgemäß weit anreisen - aber wegen der günstigen Ticketpreise nehmen das viele in Kauf.

Doch in diesem Jahr bleiben sie immer öfter zu Hause. Die Fluggastzahlen brechen dramatisch ein. Im August, wegen der vielen Ferienreisenden der wichtigste Monat des Jahres, flogen ein Fünftel weniger als im Vorjahresmonat, wie eine Umfrage dieser Zeitung unter den Billigflughäfen ergab. Den Konkurrenten geht es nicht anders. Weeze in Nordrhein-Westfalen verlor sogar über ein Viertel, Memmingen 17 Prozent, Lübeck gar 40 Prozent. Im Juli lief es ähnlich schlecht. Die großen Drehkreuze wie Frankfurt und München legten hingegen zu.

Ryanair begründet Rückzug mit Ticketsteuer

Der Einbruch an den kleinen Flughäfen begann mit dem Sommerflugplan im April. Dann machten sich an den Flughäfen die vielen Flugstreichungen bemerkbar, die Ryanair vorgenommen hat. Die irische Airline ist an allen Billigflughäfen praktisch Monopolist. In Hahn stellte sie rund 30 Prozent der Verbindungen ein, in Weeze 22 Prozent. Auch in Lübeck, Berlin-Schönefeld und Bremen reduzierte sie dasAngebot.

Radikaler Strategieschwenk von Ryanair

Ryanair begründete die Streichungen mit der Ticketsteuer, die seit Jahresanfang in Deutschland gilt. Für jede Strecke, die hierzulande startet, sind acht Euro zusätzlich fällig, bei innerdeutschen Zielen plus Mehrwertsteuer, also zusammen etwa 10 Euro. Bei Ticketpreisen von zuweilen 19 oder 29 Euro fällt das stärker ins Gewicht als bei Lufthansa-Tarifen, die bei 99 Euro beginnen - auch wenn das Ryanair-Ticket später durch allerlei Gebühren oft teurer wird. "Wenn die Tickets nicht mehr ganz so billig erscheinen, gibt es den Kurzbesuch bei Freunden oder die Städtereise über das Wochenende eben einmal weniger", sagt Matthias Hanke, Partner und Transportexperte bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Dann würden oft sowieso schon defizitäre Strecken noch schlechter ausgelastet und zum Streichobjekt. Zumal auch Billigflieger nicht mehr so hemmungslos wachsen können wie in den vergangenen Jahren.

Die Billigflughäfen leiden unter dieser Entwicklung stärker als die großen Drehkreuze. Denn es gibt kaum andere Fluggesellschaften, die für Ryanair einspringen könnten. Der Anteil der Geschäftsreisenden, die weniger auf den Preis schauen müssen, ist gering. Und schließlich haben die Minilandeplätze keine Umsteigepassagiere, die die Ticketsteuer nicht bezahlen müssen und zum Beispiel in Frankfurt rund die Hälfte der Fluggäste ausmachen. Grenznahe Flughäfen leiden zudem noch darunter, dass die Passagiere in die Nachbarländer ausweichen können.

Das spürt besonders Weeze, das direkt an der niederländischen Grenze liegt und bisher 50 Prozent Kunden aus den Niederlanden hatte. Die fliegen jetzt lieber von Eindhoven oder Maastricht. Dort schossen die Passagierzahlen in diesem Jahr in die Höhe. "Wir legten im August um 29 Prozent zu. Wir profitierten dabei von der deutschen Flugsteuer, weil Ryanair seine Verbindungen bei uns ausbaute und Germanwings Strecken eröffnete, zum Beispiel nach Berlin", sagt Sander Heijmans, Chef des Maastrichter Flughafens nahe der deutschen Grenze bei Aachen. Auch andere grenznahe Flughäfen wie Saarbrücken oder selbst der deutlich größere Flughafen Köln-Bonn, den auch viele Billigflieger ansteuern, erlitten Einbußen. In Memmingen kam hinzu, dass sich Air Berlin zurückzog, das wegen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten Strecken streichen muss.

Kleinstflughäfen entstanden meist aus ehemaligen Militärflughäfen

Besonders hart traf es das thüringische Altenburg. Die Kreisstadt mit internationalem Airport hat nun gar keinen Linienverkehr mehr. Bis März hob Ryanair regelmäßig von hier nach London ab. Jetzt ist Ryanair zum nahen Leipziger Flughafen umgezogen. Dort erhofft sich die Gesellschaft mehr Fluggäste, die die Ticketsteuer zu zahlen bereit sind. In Altenburg könnten nun die Landebahnlichter ganz ausgehen, denn die wenigen verbliebenen Privat- und Geschäftsflieger können die Betriebskosten kaum einfliegen.

Altenburg wird damit zu einem besonders schmerzlichen Beispiel für die Verschwendung von Steuergeldern. Das Land Thüringen hatte den Flughafen mit zweistelligen Millionenbeträgen ausgebaut, um Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region zu schaffen. So wie es die anderen Bundesländer mit ihren Kleinstflughäfen auch tun. Sie entstanden meist in den neunziger Jahren aus ehemaligen Militärflughäfen, nachdem die ausländischen Luftwaffen abgezogen waren. Meist auf dem flachen Land, wo Jobs Mangelware sind. Hier war die Politik bereit zu investieren, um die Flughäfen für zivile Flüge umzubauen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Und für Ryanair gab es als Marketinghilfen kaschierte Lockmittel.

Doch profitabel ist fast keiner dieser Flughäfen. Dazu ist das Einzugsgebiet meist zu klein und das so wichtige Duty-free-Geschäft kaum nennenswert. Und die Bundesländer verfallen in Kirchturmpolitik und fördern Flughäfen wie Zweibrücken, obwohl es auf der anderen Seite der Landesgrenze schon einen in Saarbrücken gibt.

Nach den Passagiereinbrüchen ist die Gewinnzone nun noch weiter weg oder wird gar nicht erreicht. Hahn beispielsweise hat seit seiner Inbetriebnahme 1993 noch nie Gewinn erzielt, der Frankfurter Flughafen verkaufte daher 2008 frustriert seine Anteile an das Land Rheinland-Pfalz. Dabei flossen schon mehr als 100 Millionen Euro in den Ausbau.

In diesem Jahr soll der Verlust immerhin reduziert werden, denn das stark steigende Frachtgeschäft kompensiert einen Großteil der Rückgänge bei den Passagierflügen, und der Terminalausbau wurde verschoben. Aber wann die Flughafengesellschaft endlich mal Gewinne erzielt, will sie nicht mehr voraussagen. Da hat sie früher regelmäßig danebengelegen. Intern gibt es offenbar Streit über die Zukunft des Flughafens. Aufsichtsratschef Jochen Langen legte vor wenigen Tagen sein Amt nieder.

Der umstrittene Ausbau des Flughafens Kassel-Calden

Entlastung ist nicht in Sicht. Zwar soll die Ticketsteuer im kommenden Jahr auf ihre Wirkung hin überprüft werden. Doch derzeit deutet nichts darauf hin, dass sie wieder abgeschafft wird. Das erhoffte Aufkommen von einer Milliarde Euro wird wohl hereingeholt.

Immerhin gilt der Flughafen Hahn als einer der wenigen, der wenigstens volkswirtschaftlich etwas gebracht hat. Für die strukturschwache Gegend ist er mittlerweile ein wichtiger Arbeitgeber. 3100 Leute beschäftigen der Flughafen und die dort angesiedelten 99 Betriebe.

Daraus erzielt der Staat zusätzliche Steuereinnahmen - und so werden die Millionen für Dorfflughäfen auch stets begründet. Doch die Argumente sind zweifelhaft. "Es ist nicht die Aufgabe des Staates, dauersubventionierte Arbeitsplätze zu bezahlen. Das Geld kann er effizienter einsetzen", klagt Eric Heymann, Verkehrsexperte von Deutsche Bank Research. Und trotzdem hat die Politik nicht gelernt. Schließungen wird es auch jetzt nicht geben. Es wird weiter subventioniert, denn als Arbeitsplatzvernichter will kein Politiker gelten. Schlimmer noch: Gerade wird in Kassel-Calden für 250 Millionen Euro Steuergelder ein neuer Regionalflughafen aufgebaut. "Betriebswirtschaftlich sind Gewinne bei Flughäfen mit weniger als einer Million Passagieren im Jahr schwer zu erzielen, weil die Fixkosten etwa für die Sicherheit so hoch sind. Aber volkswirtschaftlich wird sich der Flughafen Kassel rechnen", behauptet der vom Frankfurter Flughafen entsandte Geschäftsführer Jörg Ries. Es wäre eine Ausnahme.

Weeze macht es besser. Der Airport arbeitet mit Gewinn, hat ein wohlhabendes Einzugsgebiet, gehört nicht dem Staat, sondern einem niederländischen Immobilienunternehmer und bekam nur eine kleine Anschubfinanzierung. Ein Drittel des Ergebnisses stammt aus der Verpachtung und Vermietung von Teilen des riesigen ehemaligen britischen Flugplatzes. Und die Investitionen blieben anders als in Hahn in kleinem Rahmen.

Lübeck plante den anderen Weg. Die lokale Politik wollte die Subventionen für den Flughafen stoppen, doch ein Bürgerentscheid pochte 2010 auf dessen Ausbau. Das wird nun teuer: 2011 steuert die Anlage auf einen Rekordverlust zu.





(FAZ Online vom 12.09.2011)