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Paris, 13. November
Nach den Billigfluggesellschaften nun die Billigflugplätze. Den Anfang macht der südfranzösische Flugplatz Marseille Provence 2, kurz MP2. Gelegen in der Nähe und Teil des eigentlichen Marseiller Flugplatzes, aber selbständig operierend, soll MP2 durch extrem tiefe Gebühren dazu beitragen, dass Billigfluggesellschaften ihren Preisvorsprung gegenüber traditionellen Fluggesellschaften aufrechterhalten können und dass der innerfranzösische Flugverkehr gegenüber der Hochgeschwindigkeitsbahn preislich attraktiv bleibt. Ryanair und Easy Jet haben sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen und richten eigene Hubs ein. Anfänglich wird die Marseiller Basis von Ryanair, die einzige in Frankreich, zwei Flugzeuge umfassen, ein drittes soll 2007 folgen.
Bei MP2 werden Passagiere nur das absolute Minimum an Flugplatz-Dienstleistungen vorfinden. Die Regionalbehörde von Bouches-du- Rhône und die Handels- und Industriekammer Marseille-Provence haben den 16,4 Mio. Euro teuren Umbau einer alten Frachthalle finanziert. Resultat sind Gebühren von lediglich Euro 1.34 pro Passagier bei Inlandflügen und von Euro 1.38 bei internationalen Flügen statt Euro 6.17 bzw. Euro 6.71. Die Kapazität von MP2 wird 3,7 Millionen Passagiere pro Jahr betragen.
Der enorme Tarifunterschied hat erwartungsgemäss Air France verärgert, die gerichtlich gegen die vermutete Vorzugsbehandlung durch diskriminierende Tarifdifferenzierung vorgeht. Zwischen Air France und den Billigfluggesellschaften besteht seit geraumer Zeit eine heftige Auseinandersetzung. Ryanair, Easy Jet und zahlreiche andere «Low cost»-Transporteure einschliesslich Aer Lingus, German Wings und Hapag Lloyd Express fliegen knapp 20 Flugplätze in Frankreich an. In Basel-Mülhausen hatte sich Air France mit dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung durchgesetzt. Zwar ist eine mit Dienstleistungsunterschieden erklärbare Tarifdifferenzierung statthaft, aber die Rechtslage scheint interpretierbar zu sein.
Auch wird den Billigfluggesellschaften «social dumping» vorgeworfen. Die Arbeitsverträge von Ryanair sind nach irischem Recht verfasst, wie das in der ganzen, in 25 Ländern aktiven Gruppe üblich ist. Folge ist, dass französische arbeitsrechtliche Bestimmungen einschliesslich Altersvorsorge-Regeln nicht zur Anwendung kommen. Gegenwärtig wird der Entwurf einer Verordnung diskutiert, die ausländische Fluggesellschaften mit permanenter Basis mit Personal in Frankreich zum Abschluss von Arbeitsverträgen nach französischem Recht verpflichten würde.
(Neue Züricher Zeitung vom 15.11.2006)