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Tourismusindustrie
Am Wühltisch
Reisen ist zur Billigware verkommen. Zum Schaden aller. Die Touristikindustrie sollte umdenken

Von Olaf Krohn

Die ganze Welt für kleines Geld

Es ist kaum fünf Jahre her, dass aggressive Reiseveranstalter der Dominikanischen Republik das Image des Billigreiseziels verpassten. Für die "Domrep", wie die Osthälfte der Insel Hispaniola seitdem heißt, erfand die Urlaubsindustrie neben dem Prinzip all inclusive auch den touristischen Wühltisch. Die Urlauber, die man damals in die Touristenghettos rund um Puerto Plata und Punta Cana schickte, wurden konditioniert: Es gibt alles, und das günstig! Und wo zwei Wochen unter Palmen mehr als 500 Euro kosten, da muss man nicht mehr hin!

Deutschlands Konsumenten haben auf der ganzen Linie gesiegt. Urlaub hat seinen Status als Wertsache eingebüßt. Reiseveranstalter, Fluggesellschaften und Hoteliers sehen sich gezwungen, in diesem Jahr fast die ganze Welt als Billigziel herauszurücken. Wer die Preise nicht um mindestens zehn Prozent einreißt, hat schon verloren, denn er wird von den Medien umgehend als Preistreiber an den Pranger gestellt. Dabei kann sich die Tourismusindustrie, die seit mehr als zwei Jahren durch die tiefste Krise ihrer Geschichte geht, Preissenkungen eigentlich gar nicht mehr erlauben. Dietmar Kastner, Chef der Rewe-Marken ITS, Jahn-Reisen und Tjaereborg, schätzt, dass jede Pauschalreise bei seriöser kaufmännischer Kalkulation eigentlich 20 bis 25 Euro mehr kosten müsste. "Beim Vergleich mit alten Katalogen stellten wir außerdem fest, dass viele Reisen dasselbe kosten wie vor 15 Jahren." Was damals mit 999 Mark bezahlt wurde, müssen die Veranstalter in der Krise heute für 510 Euro herausrücken.

Vielen Firmen steht das Wasser bis zum Hals, wie etwa dem Ferienflieger Aero Lloyd. Wegen tiefroter Bilanzen schickte auch der zweitgrößte deutsche Urlaubskonzern Thomas Cook kürzlich seine beiden Spitzenmanager in die Wüste. Nach Jahren mit traumhaften Zuwachsraten und der daraus folgenden Goldgräberstimmung gibt es jetzt von allem zu viel: Flugzeuge, Urlaubsziele, Reisebüros, Hotelbetten. Die Kundschaft hat sich daran gewöhnt, dass unverkäufliche Ware kurz vor Toresschluss auf Teufel komm raus verramscht wird. "Wenn die Veranstalter heute erklären, dass es Rabatte in diesem Jahr nur noch für Frühbucher gibt, aber keine Last-Minute-Schnäppchen mehr, dann glaubt doch daran kein Mensch", meint Tourismus-Professor Karl Born. Solange die Anbieter nicht Ernst machen und ihr Angebot spürbar verknappen, taugt die auf breiter Front ausgerufene Frühbucher-Offensive nach Einschätzung des langjährigen TUI-Managers nicht zur angepeilten Umerziehung der Urlauber: "Das hat nur einen Mitnahme-Effekt: Wer aus irgendwelchen Gründen sowieso immer früh bucht, freut sich über die Rabatte." Die breite Masse aber genießt den Luxus, ihre Urlaubspläne so spontan wie einen Kinobesuch in die Tat umzusetzen und dafür noch mit üppigen Preisabschlägen belohnt zu werden.

Die Geiz-ist-geil-Mentalität, die dem Einzelhandel schon länger heftig zusetzt, hat jetzt auch die Urlaubsmacher erwischt. "Den Konsumenten ist das Gefühl dafür verloren gegangen, was ein guter Preis ist", sagt Rewe-Manager Kastner. "Wenn sie 28 Euro pro Nacht in einem türkischen Vier-Sterne-Hotel, all inclusive, bezahlen sollen, warten sie trotzdem noch darauf, dass der Preis auf 20 Euro sinkt." Oder bis das Flugticket von Billig-Airlines für 4,99 Euro verschleudert oder gleich ganz verschenkt wird. Das neue Schlaraffenland für Schnäppchenjäger entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als krasser Fall von sittlicher Verwahrlosung, die – von dubiosen Fluggesellschaften initiiert – über willfährige Medien ausstrahlt auf ein euphorisiertes Publikum. Derartige Verlockungen zersetzen das gesunde Preis-Leistungs-Gefühl jedes Reisenden, das vor nicht allzu langer Zeit noch der logischen Formel "Je weiter, desto teurer" gehorchte.


»Im Hotel wird gehandelt wie nie zuvor"


Das verkehrs- und umweltpolitische Desaster wird nicht nur geduldet, sondern diskret gefördert durch ambitionierte Provinzpolitiker. Vom Landeplatz Lübeck, den Ryanair in bewusster Irreführung der Kundschaft als "Hamburg-Lübeck" vermarktet, verlangt der aggressive Billig-Anbieter nach Informationen der Lübecker Nachrichten angeblich fünf Euro pro Passagier, 300000 Euro für jede neue Destination und – von der schleswig-holsteinischen Landesregierung – eine Million Euro für die Crew-Ausbildung für jeden dort stationierten Jet.

»Der Boom der Billigfluglinien ist unter ökologischen Aspekten sehr fragwürdig, denn er macht das Flugzeug vom Ausnahmefahrzeug zum Alltagsfahrzeug", sagt Angelika Zahrnt, Präsidentin des Bundesverbands für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Spottbillige Flugtickets erzeugen Mobilität ohne Sinn und Verstand – und sie werden indirekt hoch subventioniert. Allein 23 Euro müsste nach Experten-Berechnungen ein Flug von Berlin nach Köln mehr kosten, wenn der Passagier wie jeder Auto- oder Bahnfahrer auch Mineralöl- und Ökosteuer zahlen müsste. Im Auslandsverkehr sparen Billigflieger zusätzlich noch die Mehrwertsteuer.

Die Feigheit der Verkehrspolitiker in Berlin und Brüssel legt die perfide Basis für ein aus den Fugen geratenes Wertgefühl der Verbraucher. Wenn der Flug dasselbe kostet wie ein letztes Bier vor dem Start, verliert das Fernweh seine Verheißung, die Fremde ihren Zauber. Die absurd billigen Angebote der hoch subventionierten Low-Cost-Airlines beherrschen erst die Schlagzeilen, setzen sich anschließend als Norm in den Köpfen der Kundschaft fest – und lassen die seriösen Kalkulationen bodenständiger Transporteure wie Bahn und Busunternehmen schlicht wie Nepp erscheinen. Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels: Von 75 Billig-Airlines in Europa arbeiten nach Informationen des Tourismusfachblattes FVW ganze zwei mit Gewinn. Die schlimmsten Auswüchse am Himmel dürften sich damit in absehbarer Zeit von selbst erledigen.

Das wird auch höchste Zeit, um das ruinierte Preis-Leistungs-Gefühl der reisenden Verbraucher wieder ins Lot zu bringen. "Wenn eine Ware an Wert verliert, geht der Kunde entsprechend damit um", sagt Tourismusforscher Born. "In den Zielgebieten wird die Infrastruktur zugrunde gerichtet. Flughäfen können beispielsweise nicht mehr investieren, weil die Billigflieger keine Lande- und Passagiergebühren zahlen wollen."

Auch die Hoteliers zwischen Föhr und Fuerteventura haben keinen Grund zur Freude. Der gewaltige Bettenberg ist in Krisenzeiten nur mit hohen Rabatten an den Mann zu bringen. Der durchschnittliche Zimmerpreis in deutschen Hotels schrumpfte im vergangenen Jahr auf 79 Euro. 1997 mussten die Gäste noch 81 Euro dafür zahlen, 2001 sogar 86,60 Euro.

»An den Rezeptionen wird gehandelt wie nie zuvor", klagt Marc Schnerr, Sprecher des Hotelverbands Deutschland. Keine andere Hauptstadt in Westeuropa beherbergt ihre Besucher so billig wie Berlin. Die zur Schnäppchenjagd erzogenen Urlauber und Geschäftsreisenden haben im deutschen Gastgewerbe dafür gesorgt, dass innerhalb eines Jahres 2,5 Prozent aller Arbeitsplätze eingespart wurden.

Inzwischen mehren sich aber die Anzeichen, dass die Urlaubsindustrie ihren falschen Kurs, den sie vor fünf Jahren in der Dominikanischen Republik einschlug, korrigiert. "Die Verknappung des Angebots ist notwendig", sagt Rewe-Manager Dietmar Kastner. "In diesem Jahr werden 30 Flugzeuge weniger an den Start gehen als dieses Jahr." Die TUI entdeckt das Thema Qualität neu, das sie unter dem Diktat von "Geiz ist geil" etwas aus den Augen verloren hatte: So will der Marktführer seine Kunden nicht mehr mit den zuletzt sehr häufigen kurzfristigen Flugplanänderungen drangsalieren und den Standard seiner eigenen Angebote verstärkt durch "Mystery Shopper" überprüfen.

Karl Born empfiehlt den Veranstaltern, unverkaufte Kapazitäten nicht als Last-Minute-Schnäppchen auf den Markt zu werfen: "Vielleicht müssen die Leute einfach mal merken, dass es nichts mehr gibt." Doch das ist leichter gesagt als getan. Spanische, griechische oder türkische Hoteliers, die von deutschen Großveranstaltern aus dem Programm genommen werden, bringen ihre Betten dann eben auf anderen Wegen an den Mann: Für den Transport sorgen dann Billig-Airlines, die verstärkt ans Mittelmeer fliegen, und für den Verkauf das Internet oder branchenfremde Anbieter.

Originalbericht

((c) DIE ZEIT 08.01.2004 Nr.3)

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