Folge: Massive Einschränkungen des Nachtfluges! - Hoffentlich kommst!

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Neue Grenzen Umweltminister Trittin will den Fluglärm senken
Airlines und Flughäfen drohen Kosten in Milliardenhöhe. Im Kabinett formiert sich Widerstand.

Airlines und Flughäfen drohen enorme Kosten. Allein für den Verteidigungshaushalt werden zusätzliche Kosten von bis zu 5 Milliarden DM erwartet.

Das Dorf Diepensee muss umziehen. Wo heute 350 Menschen leben, sollen ab 2007 Millionen Reisende Jahr für Jahr aus der Bahn steigen, um vom Flughafen Schönefeld aus in alle Welt abzuheben. Der Internationale Airport Berlin-Brandenburg, einst Regierungsflughafen der DDR, soll neben Frankfurt und München das dritte große Drehkreuz in Deutschland werden.

Ob die Ausbaupläne Wirklichkeit werden, entscheiden nicht nur die Gerichte, die über 100000 Einwände von 70000 Bürgern gegen den Flughafenausbau prüfen. Letztlich hängt alles an einer Person: Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Er plant ein Fluglärmgesetz, das die Kosten für Flughafenausbauten drastisch in die Höhe schraubt und dadurch womöglich das Projekt Schönefeld stoppt.

Nicht nur die Planer in Schönefeld gucken gespannt nach Berlin: Experten fürchten, dass die Lärmschutzpläne des Umweltministers den Ausbau aller deutschen Flughäfen verhindert, die Existenz der Regionalflughäfen gefährdet und Nachtflüge generell verbietet. Die bittere Konsequenz: Der Flugverkehr würde sich von Deutschland nach Brüssel, Amsterdam, London oder Zürich verlagern, die Arbeitsplätze der 150000 direkt Beschäftigten an den deutschen Airports gefährden und neue Stellen verhindern.

Im Zentrum von Trittins Plänen steht eine erhebliche Absenkung der Fluglärm-Grenzwerte. Generell sollen alle Dezibelwerte je nach Lärmzone um bis zu zehn gesenkt werden, was faktisch eine Reduzierung des Fluglärms um mehr als die Hälfte bedeutet. Kommt es darüber hinaus auf einem Flughafen zu "wesentlichen baulichen Veränderungen", müssen die Werte noch einmal um fünf Dezibel verringert werden. "Eine deutliche Verschärfung", urteilt ein hoher Manager vom Flughafen Frankfurt, denn Dank des Wachstums stehen an fast allen deutschen Airports umfangreiche Aus- und Neubauten an.

Nachts würden die neuen Grenzwerte nur einen Lärmpegel von 35 Dezibel (dB) in Innenräumen zulassen, was einem faktischem Nachtflugverbot gleichkommt. "Eine Klospülung, die zehn Sekunden mit 65 dB rauscht, würde für den gleichen durchschnittlichen Lärmpegel sorgen", rechnet Ulrich Isermann vom Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) vor. Die Lärmschutzzonen würden damit bei großen Flughäfen auf deutlich mehr als 20 Quadratkilometer ausgeweitet.

Das faktische Nachtflugverbot beeinträchtigt Firmen wie Lufthansa Cargo massiv. "Ohne Nachtflüge können wir den Laden hier dicht machen", klagt Christoph Klingenberg, Infrastrukturbeauftragter bei der Deutschen Lufthansa. Ebenso dramatische Entwicklungen befürchtet die Bundeswehr. Auf sie kämen neue Kosten von bis zu fünf Milliarden Mark zu. "Die Militärflughäfen haben bisher relativ wenig für den Lärmschutz getan", erklärt DLR-Experte Isermann die Belastung.

Großen Ärger bereitet vor allem die sogenannte 100/100-Regel: Danach muss ein Flughafen-Betreiber die Kosten der Anwohner für Schallschutzmassnahmen an allen Flugschneisen übernehmen, selbst wenn Strecken praktisch nicht genutzt werden. "Die halbe Stadt Hamburg müsste dann neue Fenster und Dächer bekommen, auch wenn fast kein Flugzeug darüber startet", sagt Klingenberg.

Den Flughäfen drohen somit gewaltige Kosten. Während das Trittin unterstehende Umweltbundesamt (UBA) Ausbaukosten für die zivile Luftfahrt von 600 Millionen Mark errechnet, schätzt Bernd Nierobisch, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen, die Belastung durch die niedrigeren Lärmgrenzwerte auf mindestens sechs Milliarden Mark. Auch das Verkehrsministerium kommt auf eine höhere Belastung als das UBA: Kurt Bodewigs Experten geben die Kosten mit etwa zwei bis drei Milliarden Mark an. Allein das Güterdrehkreuz Köln/Bonn müsse 220 Millionen Mark berappen, heißt es. Insgesamt existieren 17 deutsche Airports, die internationalen Linienverkehr abwickeln.

Dabei wehren sich weder die Flughäfen noch die Fluglinien prinzipiell gegen ein neues Fluglärmgesetz. Das alte Regelwerk stammt aus den Siebzigerjahren, und seitdem gab es viele technische Verbesserungen zur Lärmminderung. Was den Betreibern missfällt: Die Gerichte drücken aufgrund von Klagen ständig die Grenzwerte nach unten. "Wir brauchen verlässliche Werte, mit denen wir arbeiten können", sagt Klingenberg. "Die könnte ein neues Gesetz bringen, wenn die Grenzwerte realistisch sind."

In den anderen Ministerien stoßen Trittins Pläne ebenso wenig auf Gegenliebe. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller und Verkehrsminister Bodewig lehnen den Gesetzentwurf aus dem Umweltministerium einmütig ab, weil sie negative Auswirkungen für Exportwirtschaft und Tourismus befürchten. Sie fürchten, dass Flughäfen in Grenzregionen wie Köln/Bonn oder Aachen gegen die Konkurrenz aus Belgien und den Niederlanden keine Chance mehr haben und der Flugverkehr in die Nachbarländer abwandert. Auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping geht auf die Barrikaden – schon jetzt weiß er kaum noch, wie er seine Haushaltslöcher stopfen soll. Mit neuen finanziellen Belastungen der Luftwaffe droht ein Flugverbot.

Bundeskanzler Gerhard Schröder fürchtet einen unpopulären Konflikt wie zuletzt im Streit zwischen Wirtschaftsminister Müller und Arbeitsminister Walter Riester bei der Mitbestimmung. Alle Einwände seiner Ministerkollegen konnten Trittin bisher nicht dazu bringen, seinen Entwurf zu ändern. "Das Umweltministerium ist nicht verhandlungsbereit", klagen Bodewigs Beamte. Vornehm formulieren es die Kollegen im Verteidungsminsterium: "Grundsätzliche Bedenken" äußern sie gegen die Art, wie Trittin vorgeht. Entgegen der Geschäftsordnung der Bundesregierung will Trittin ohne Abstimmung mit seinen Kollegen Länder und Verbände zu dem Entwurf anhören.

Er will auch nicht auf die geplante europaweite Harmonisierung des Lärmschutzes durch die EU-Kommission warten, die weniger restriktive Werte vorsieht. Dem in jüngster Zeit wegen seiner umstrittenen Äußerungen unter Druck geraten Umweltminister ist sein Profil und das seiner Partei für den kommenden Bundestagswahlkampf wichtiger.

Von pragmatischen Lösungen im Kampf gegen den Lärm wie in den Nachbarländern hält er nichts. Amsterdam etwa hat eine strikte Lärmobergrenze. Als diese im vergangenen November kurzzeitig überschritten wurde, fand sich rasch eine Lösung. Der Airport zahlte fünf Millionen Gulden Strafe und verpflichtete sich zu technischen Neuerungen.

Auch bei den nächtlichen Grenzwerten zeigt sich Trittin hart. Dabei ist unter Medizinern und Psychologen umstritten, wie viel Lärm der Gesundheit schadet, was auch das Umweltbundesamt einräumt. Das DLR versucht gerade in einer Versuchsreihe, Erkenntnisse darüber zu gewinnen. Freiwillige lassen sich dabei insgesamt 2500 Nächte lang mit Lärm beschallen. Bis 2003 will das DLR die Daten auswerten.

Widersprechen die Ergebnisse Trittins Plänen, könnten Gerichte ein Gesetz dieser Machart kassieren. Bis dahin werden jedoch Fluggesellschaften und Transportunternehmen Konsequenzen gezogen haben. Denn der Verkehrsmarkt wächst derart schnell, dass Verkehrsminister Bodewig in seinem Flughafenkonzept den Bau von fünf neuen Start- und Landebahnen vorgesehen hat. Logistiker wie die Schenker AG erzielen jährlich zweistellige Wachstumsraten im Luftfrachtverkehr. Der deutsche Marktführer eröffnet im Sommer ein neues Güterverkehrsdrehkreuz in München, weil der Flughafen Frankfurt die Nachfrage nicht mehr bedienen kann.

Im Verkehrsministerium arbeiten die Ministerberater eifrig daran, Trittins Pläne zu Fall zu bringen. Immerhin hat das Kabinett, also auch Trittin, Bodewigs Flughafenkonzept abgesegnet. Flughäfen sollen einen Bahnhof erhalten. Vor allem die Kurzstreckenflüge wollen die Experten im Bundesverkehrsministerium auf die Bahn verlagern – um in der Luft Platz für mehr Verkehr zu schaffen.

Artikel in der Wirtschaftswoche (Inernet-Version)

(Wirtschaftswoche vom 22.03.2001)

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