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Mittelwert macht mich nicht wach

Fluglärm: Weniger Überflüge von Frankfurt, aber größere und lautere Flieger?

Ob der Wind von Westen oder Osten kommt, ob es Tag oder Nacht ist, macht für die Bewohner im nördlichen Teil Darmstadts keinen großen Unterschied. Laut ist es in jedem Fall, denn Wixhausen und Arheilgen liegen so oder so unter einem Ausläufer des Lärmteppichs, den der Rhein-Main-Flughafen über die Region streut. Das zumindest zeigen die Karten, die das Regionale Dialogforum (RDF) mit ins Bürgerhaus gebracht hatte.

Das RDF wurde Mitte des Jahres 2000 von der Landesregierung eingerichtet, um die im Mediationspaket fixierten Bedingungen für einen Ausbau des Frankfurter Flughafens in der Umsetzung zu begleiten.

Dazu zählt vor allem, die Bevölkerung über den Stand des komplizierten Genehmigungsverfahrens zu informieren und ihr die unzähligen Gutachten zu erläutern. Für die bunten Landkarten interessieren sich die gut siebzig Besucher im Bürgermeister-Pohl-Haus jedoch wenig. Um zu wissen, wie laut es in ihrer Straße ist oder wie oft sie von den Fliegern aus dem Schlaf gerissen werde – dafür brauchen sie keine animierten Bilder.

Für Zoff sollten die schicken Landkarten trotzdem Stoff bieten. Die lärmgeplagten Wixhäuser und Arheilger monierten heftig, dass darin nicht die Einzelschallereignisse eingetragen sind, sondern lediglich ein durchschnittlicher Lärmpegel vermerkt ist.

"Vom Mittelwert werd' ich nicht wach", schimpft ein Mann, und lautstarke Zustimmung lässt nicht lange auf sich warten. Das sei erst der Beginn einer Untersuchung, erklärt Mark Pfeiffer von der Geschäftsstelle des RDF. Die Einzelschallereignisse würden später dokumentiert, versichert er.

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom Donnerstag, das die Forderung von fünf Klägern aus Darmstadt abgeschmettert hatte, sorgt obendrein für Kopfschütteln unter den Bürgern. Die Kläger wollten erreichen, dass die Flugrouten gefächert werden, so dass die Belastung verteilt werde. Mit dem Vorschlag stehen die Fünf nicht allein. Zwei Plexiglassäulen hat das RDF aufgestellt, in die Bälle eingeworfen werden konnten. Während die Säule für die Streuung des Lärms fast halb voll ist, liegt keine einzige Kugel in dem Behälter, der für eine Bündelung bereit steht.Mit den planerischen Durchschnittswerten ist auch er nicht zufrieden. "Vielleicht gibt es wirklich bald weniger Überflüge, dafür aber werden die Maschinen immer größer und lauter", gibt er zu bedenken und spielt auf den Airbus 380 an. Welche Auswirkungen Lärm auf die Gesundheit haben, sei von wissenschaftlicher Seite noch nicht eindeutig zu belegen, sagt Uwe Gieler von der Landesärztekammer. Das Problem sei, die individuell empfundene Lärmbelastung objektiv zu fassen. Der Flughafen Tempelhof in Berlin etwa sorge für jede Menge Krach. Der werde von den Anwohnern aber nicht als unerträglich empfunden. Das liege wohl an der emotionalen Bindung der Berliner zu ihrem Flughafen, der in der Nachkriegszeit die Versorgung der Stadt sicherte, provoziert der Arzt und erntet prompt Empörung.

Der Stadt bereitet der geplante Flughafenausbau mit Blick auf die schon jetzt hohe Lärmbelastung ebenfalls Kopfzerbrechen. "Wir werden in unseren Siedlungsmöglichkeit stark eingeschränkt", sagt Stadträtin Daniela Wagner (Grüne). Mit etwa 95 Hektar fallen gut Zweidrittel der Flächen weg, die die Stadt im Norden Darmstadts noch zu Bauland entwickeln wollte, so Wagner. Für Wohnbebauungen sei es dort nun schlichtweg zu laut. Wer schon unter dem Lärmteppich lebt, hat zudem mit einem Wertverfall der Grundstücks- und Häuserpreise zu kämpfen, weiß Wagner.

Die Stadträtin befürchtet, dass angesichts der nachteiligen Entwicklung sich die Sozialstruktur in den betroffenen Gebieten ändern wird. Denn jene, die es sich leisten können, suchten alsbald das Weite und zögen weg.

Nach über zwei Stunden Diskutieren und Streiten war die Luft raus, die Gruppen lösten sich auf und TU-Präsident Jan-Dietrich Wörner als Vorsitzender des Forums zog eine positive Bilanz: "Das RDF vertritt das Allgemeinwohl stärker und kontinuierlicher als viele andere Vertreter. Inzwischen haben wir in der Diskussion mit betroffenen Bürgern und mit Wirtschaftsunternehmen einen sehr sachlichen Diskussionsstil erreicht."

Originalbericht aus Echo Online

(Echo-Online vom 16.12.2002)

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