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Kerosinpreis » Ende des Frachttraums «

von Ulf Brychcy (Sharjah)

Das Auftanken einer Cargo-Maschine ist heute doppelt so teuer wie vor einem Jahr. Die Kosten sind kaum mehr auf die Kunden abwälzbar. Hinzu kommt: Der Branche drohen satte Überkapazitäten.

Trockene Wüstenluft drückt in das Flugzeug, als sich die Kabinentür und die Ladeklappen öffnen. 37 Grad Außentemperatur in Sharjah, Vereinigte Arabische Emirate. Bevor an diesem Tag die Mittagshitze noch weiter ansteigt, wird die Frachtmaschine vom Typ MD 11 wieder in der Luft sein. "Eine Stunde tanken, dann geht es hoch", sagt Peter Schauenkammer.

Hier am Rand der Wüste kommt Schauenkammer als neuer Kapitän an Bord des Lufthansa-Cargo-Flugzeugs MD CC, das von Frankfurt nach Hongkong unterwegs ist. Er löst seinen Kollegen Björn Prütz ab, der die mit Containern, Chemikalien, Trockeneis und Maschinenbauteilen beladene Transportmaschine sicher und pünktlich nach Sharjah, dem Zwischenstopp, gesteuert hat.

Alles geschieht zügig, routiniert und nach festgelegten Abläufen: Arbeiter schieben die Fracht aus dem langbauchigen Laderaum auf Hebebühnen, während Prütz und sein Copilot die MD CC im Vorraum des Cockpits an Schauenkammer und dessen Copiloten Markus Kuhlmann übergeben. Was hinten im Frachtraum geschieht, interessiert sie nicht sonderlich. Dafür ist allein der Lademeister zuständig. Was noch an Bord bleibt, ist für Hongkong bestimmt.

Auf dem staubigen arabischen Flughafen wird nichts zugeladen - abgesehen von gut 60 Tonnen Kerosin. Rund 60.000 $ kostet die Betankung, gut doppelt so viel wie vor einem Jahr. Was der gewaltige Preissprung auslöst in der Luftfrachtbranche, bringt Schauenkammer mit mainfränkischem Dialekt in zwei Sätzen auf den Punkt: "Wir Lufthansa-Piloten sind verpflichtet, sicher, pünktlich und effizient zu fliegen." Und: "Eine Krise ist immer schlecht, für jeden."

Ausgerechnet die Frachtfluglinien erwischt es nun, die innerhalb nur eines halben Tages die neuesten Mobilfunkgeräte oder aktuelle Modekollektionen von Asien nach Europa schaffen. Die Arzneimittel und Ersatzteile für Werkzeugmaschinen in die andere Richtung fliegen. Ausgerechnet diese Schlüsselunternehmen der vernetzten Weltwirtschaft, die sich in der Vergangenheit über zweistellige Zuwachsraten freuen konnten - Jahr für Jahr.

Es passiert zurzeit zweierlei: Die explodierenden Kerosinpreise drängen zuerst jene Fluggesellschaften aus dem Markt, die mit "fuel burnern", also mit alten, spritfressenden Maschinen unterwegs sind - wie etwa die britische MK Airlines, die seit vergangenem Freitag mit ihrer Boeing 747/200-Frachtflotte in die Insolvenz gezwungen wurde. Kein Flieger hebt mehr ab.

Gleichzeitig aber baut die vom Boom verwöhnte Luftcargo-Branche scheinbar unbeirrt Überkapazitäten auf. Lufthansa-Cargo-Chef Carsten Spohr erwartet, dass allein auf Verbindungen in Richtung Europa bis 2012 bis zu 50 Frachtflieger zu viel in der Luft sein werden. Zum Vergleich: LH Cargo, die weltweit drittgrößte Fracht-Airline, betreibt in Eigenregie 19 Flugzeuge vom Typ MD 11. Dabei zählt Spohr noch nicht einmal die zahlreichen neuen Passagierflugzeuge der Lufthansa und all ihrer Konkurrenten mit, die täglich ebenfalls viele Tonnen Fracht als Beiladung transportieren können.

"Massives überproportionales Angebotswachstum führt zu weiterem Preisdruck", sagt der LH-Cargo-Chef. Zugleich verweigern viele Kunden, wie etwa die weltumspannend tätigen Logistiker Panalpina, Kühne+Nagel, DB Schenker und DHL, reguläre Aufschlagzahlungen bei den Frachtraten. Es reicht ihnen, dass sie über den Treibstoffzuschlag die hohen Kerosinpreise derzeit schon zu einem großen Teil mittragen müssen.

Das Schicksal der Spritfresser, die in der Vergangenheit mit ihren alten, abgeschriebenen Maschinen zu Kampfpreisen von Kontinent zu Kontinent flogen, könnte lediglich ein Vorbote sein. Zunächst dürften sich Flugfrachtmarktführer wie Korean Air, Air France-KLM oder eben Lufthansa Cargo darüber freuen, wenn sich die lästige Billigkonkurrenz verabschieden muss. "Das nimmt Druck vom Markt", sagt ein LH-Cargo-Manager merklich erleichtert.

Doch auch die etablierten, noch weitgehend krisenresistenten Frachtairlines werden ihre Pläne zum Ausbau ihrer Flotten bald zurückschrauben müssen - umso mehr, da die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten inzwischen kaum noch wächst. Die Frachter lassen sich dann nicht so einfach nach Asien umleiten. Einerseits fehlen den Gesellschaften die Flugrechte, andererseits gibt es beim Transportvolumen ein erhebliches Ungleichgewicht: Flieger sind nur auf dem Weg von der Werkbank Asien zu den Konsumenten nach Europa voll. Auf dem Rückweg hingegen sind sie oft halb leer. Das beeinträchtigt die Rentabilität.

So dürfte die Lufthansa-Cargo-Gruppe, zu der auch die Töchter Aerologic in Leipzig, Swiss Cargo in Zürich und Jade Cargo im chinesischen Shenzhen gehören, ihre Flottenpläne abspecken. Bald schon könnte dies bei der mit DHL gemeinsam gegründeten Frachtairline Aerologic passieren.

An der Besatzung des Frachters MD 11 liegt es nicht. Flugkapitän Schauenkammer und sein Copilot Kuhlmann sind in Sharjah zehn Minuten früher abgehoben als geplant. Jetzt können die beiden auf ihrem siebenstündigen Flug nach Hongkong, dem weltweit größten Luftfrachtflughafen, das Tempo etwas drosseln. Ersparnis: zwei Tonnen Kerosin. Macht 2000 $.

(Financial Times Deutschland vom 18.06.2008)