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Wer hebt schon in Hahn ab?

Ein Provinzflughafen tief im Hunsrück hofft, Anschluss an den internationalen Luftverkehr zu finden

Von Burkhard Strassmann

Hoch droben im Hunsrück, hinter wenigstens sieben Bergen, umringt von lauter Zwergen wie Löffelscheid, Todenrodt und Lautzenhausen, liegt der aufgegebene US-Fliegerhorst Hahn. Ein heißer Tipp für Leute, die gern in aufgegebenen Fliegerhorsten herumspazieren: bemooste Erdbunker, von Graswurzeln gesprengte Panzertrassen, zahlreiche leer stehende, irgendwie gelbliche Militärbauten mit Aufschriften wie "Base Operations", "Cinema 50" und "Fire Protection".

Warnschilder, die darauf hinweisen, dass Eindringlinge scharf beschossen werden. Doch auf einmal steht da am Flugfeldzaun im steifen Hunsrückwind ein Neubau. Eine kleine Halle, frisch angemalt, zwei Türen. Über der linken steht "Arrival", über der rechten "Departure". Das ist er: Hahn Airport oder auch "Flughafen Frankfurt Hahn". Ein ziviles Pflänzchen in bröselnder Martialkulisse. In der guten alten Zeit lebten, wohnten und konsumierten in und um "den Hahn" (wie der Hunsrücker sich ausdrückt) 15 000 amerikanische Soldaten. Sie sorgten für 1000 sichere deutsche Arbeitsplätze. Die Amerikaner sind weg. Die Arbeit ist weg. Heute ist hier tote Hose, wie jeder Gast des Flughafenhotels Steigenberger Esprix bestätigen wird. Man erreicht das Drei-Sterne-Haus nach einem kräftigen 20-Minuten-Fußmarsch durch Kasernen, einen bunkerreichen Wald und über vergessene Bahngleise. Inmitten einer leer stehenden Housing Area ist das Steigenberger in der Tat "ruhig gelegen" - es ist dort totenstill.

Doch der Flughafen brummt, schreiben die Zeitungen. Der kleine Airport ist ein Liebling der Medien. Der "Publikumsmagnet", der Zwerg, der gegen Goliaths wie den "großen Bruder" im 120 Kilometer entfernten Frankfurt anstinkt.

Verdreifachung der Passagierzahlen im Jahr 1999! Im Luftfrachtaufkommen liegt man (Lkw-Fracht allerdings mitgerechnet) schon auf Platz vier in Deutschland! Und für 2001 hoffen die Hunsrücker auf noch mal 50 Prozent mehr Fluggäste. Zwar sind enorme prozentuale Zuwachsraten von einer tiefen Basis aus leicht zu erreichen. Doch Regionalflughäfen liegen tatsächlich im Trend, wie Paderborn, Dortmund und sogar Lübeck zeigen. Und eben auch der Hahn, den vor vier Jahren noch niemand kannte.

Es ist nicht die Welt, die man von Hahn aus erreicht. Aber Mallorca - der TUI-Flieger startet Freitags um 6.05 Uhr. Im Sommer heben auch mal Pilger nach Lourdes ab. Oder Menschen mit Steuerfragen zu den Kanalinseln. Typischerweise jedoch begegnet man hier auf der Höhe Studenten, die aus dem Internet ein Ticket des irischen Billigfliegers Ryan Air gefischt haben - nach London-Stanstedt, Glasgow-Prestwick oder Shannon, für eben mal 100 bis 400 Mark. Auch kostenbewusste britische Fußballfans kommen manchmal über den Kanal und scheuen den Umweg über Hahn nicht, um ein relevantes Spiel der Bayern zu sehen. Und zur Messezeit wird der Pendelbus nach Frankfurt manchmal richtig voll.

Den Reisenden erwarten in Hahn der Charme eines Provisoriums und die Intimität eines Flugplatzes im mittleren Lappland. Mit dem Auto fährt er bis fast an den Zaun (natürlich keine Parkgebühren!). Zweimal lang hinschlagen - und man steht vor einem der neun Check-in-Schalter. Fünf Schritte bis zur Durchleuchtungsmaschine, und dann schnell bremsen, sonst fällt man durchs Fenster aufs Flugvorfeld. Bis zur Maschine dürften es noch mal 30 Tippelschritte sein. Bei Bedarf wird die zurückgelassene Verwandtschaft durch die Zaunmaschen hindurch noch mal geküsst.

Dabei ist alles da, was ein internationaler Flughafen so braucht. Zumindest symbolisch. Vier namhafte Autovermieter haben Schalter (die allerdings nur bei Vorbestellung besetzt sind). Es gibt drei Telefone und eine Palme, mehrere Gepäckwagen (ohne Münzeinwurf!) und käuflich zu erwerbende Mitbringsel wie das offizielle Hahn-T-Shirt mit dem Aufdruck: "I work in Hohn / Huhn / Haan ... I job at the airport." Hohn, Huhn und Haan sind durchgestrichen. In der Regel wird Hahn täglich von fünf Flugzeugen aus Irland und England besucht, und dann stehen auch bis zu drei Taxen vor der Tür. Nach einer halben Stunde heben die Maschinen wieder ab. Die Taxen fahren weg. Die Bistrobedienung geht heim. Und der Hahn fällt wieder in einen tiefen Schlaf.

Die relative Nähe zu Frankfurt ist Fluch und Chance zugleich. Fluch, weil freiwillig kaum eine Airline das überlastete Drehkreuz rechts liegen lässt, auch wenn die Flughafengebühren in Hahn um etwa 40 Prozent unter den Frankfurter Sätzen liegen. Chance, weil Nachtflugverbote und Luftraumstaus schon mal zum Landen in Hahn zwingen, wo es keine solchen Flugeinschränkungen gibt. Gelegentlich kommt der Hunsrücker Airport auch schon in den logistischen Überlegungen von Chartergesellschaften und Postdienstleistern vor. Doch leider kann sich der Hahn nicht frei und in Konkurrenz zu Frankfurt entwickeln - er gehört zu 74,9 Prozent seinem großen Bruder. Der große Bruder aber druckt den Flugplan, und auf dem Flugplan steht "Frankfurt Hahn". Als wäre Hahn ein Vorort.

In Wirklichkeit ist Hahn eine andere Welt. Weit weg, am ehesten von Enthusiasten zu finden. Hahn ist in erster Linie ein Flughafen für eingefleischte Autofahrer, die sich im Gewirr der Rhein-Main-Autobahnen zurechtfinden und das gemütliche Zuckeln auf zweispurigen Bundesstraßen lieben. Einen Bahnhof findet man erst in 20 Kilometer Entfernung, in einer Ortschaft namens Kirn. Von Frankfurt aus gibt es einen Bus. Der schaukelt fünfmal am Tag durch die Obstbäume der Rheinebene und die Weingüter an der Nahe. Er ist eindreiviertel Stunden unterwegs und kostet 20 Mark. In der Presseabteilung von Hahn Airport, einer zutiefst hoffnungfrohen Einrichtung, schätzt man, dass es vielleicht in sechs Jahren eine Bahntrasse nach Mainz geben könnte ("Das Land prüft").

Wenn man von der Politik zweier Bundesländer, der Geschäftspolitik des großen Bruders und den Launen eines irischen Troublemakers abhängt; wenn sich soeben Großkunde Malaysia Air Cargo, der sich erst vor einem Jahr hier richtig breit gemacht hatte und Hahn täglich anflog, wieder weitgehend zurückzog; wenn die geschäftlichen Turbulenzen um den Reiseveranstalter FTI Hahn fast den gesamten Charterverkehr kosteten - dann bleibt einem nicht viel mehr als die Hoffnung. Doch wenn er eins gelernt hat, der Hahn, dann ist es das Krähen. Nicht wahr, es ist doch ein großartiges Zeichen, dass der Billig-Ire Ryan Air über einen eigenen Hub, einen eigenen Luftverkehrsknoten mit Umsteigmöglichkeit in Hahn nachdenkt. Und wartet mal ab, irgendwann startet man von Hahn aus direkt nach New York! Zwar ist die Startbahn zu kurz für voll getankte Jumbos - aber ein Kilometerchen Verlängerung sollte hier oben kein Thema sein.

Denn Hahn empfiehlt sich auch in dieser Hinsicht: Startbahngegner müsste man schon mit der Lupe suchen!

(Zeit, Ausgabe 26/01)

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