"Anwohner packen die Koffer"

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Wenn Dröhnen zum Alltag wird

Flughafen-Anwohner: "Bei Ausbau können wir nur noch wegziehen"

Von BIRGIT REICHERT

FRANKFURT. (Ihe) Das Dröhnen der Triebwerke ist für Kerstin Wirth-Schiffler Alltag. Alle anderthalb Minuten donnert ein Flugzeug in rund 350 Metern Höhe über ihr Haus in Raunheim.

Auch in der Nacht lassen die Maschinen ihr keine Ruhe: "Vom Durchschlafen kann ich nur träumen, ich wache jede Nacht mehrfach auf", klagt die 45-Jährige.

Seit einigen Monaten beschert der Lehrerin aber nicht nur der Lärm, sondern auch der mögliche Ausbau des Frankfurter Flughafens schlaflose Nächte. "Wenn der kommt, kann man hier nur noch wegziehen. Fluglärm macht heimatlos", sagt sie resigniert.

Schon jetzt wird Raunheim, das in der Einflugschneise des Flughafens liegt, täglich einer Dauerbeschallung von 62 Dezibel ausgesetzt. Das ist genau der Wert, den die Mediationsgrupp Flughafen Frankfurt in ihrem kürzlich veröffentlichtem Papier als oberste Grenze am Tag - auch in Fall eines Ausbaus - gesetzt hat, un langfristige gesundheitliche Schäden in der Bevölkerung zu vermeiden. Für die Raunheimer Lehrerin ist klar: "Wird der Flughafen vergrößert, wird es hier noch schlimmer, die 62 Dezibel sind nicht mehr zu halten." 62 Dezibel entsprechen etwa einem Lärmpegel zwischen einem lauten Gespräch und einem Rasenmäher. Die 21-köpfige Mediationsgruppe wird in der zweiten Januarhälfte eine Empfehlung vorlegen, ob und wie der größte deutsche Flughafen ausgebaut werden soll. Gemeinsam mit Wissenschaftlern erstellt sie dazu verschiedene Szenarien, die die jeweils unterschiedlichen wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen berücksichtigen.

Die hessische Landesregierun wird anschließend über die Zukunft des Flughafens entscheiden. Neben Raunheim werden derzeit auch schon Rüsselsheim, Flörsheim, die Mainspitzgemeinden Bischofsheim und Ginsheim-Gustavsburg, die südlichen Mainzer Vororte und die östlichen Stadtteile Wiesbadens mit mindestens 60 Dezibel Lärm überzogen.

"Die breite Mehrheit der Bevölkerung im Main-Taunus-Kreis lehnt einen weiteren Ausbau des Rhein-Main-Flughafens über dessen Zaun hinaus ab", sagt Gerhard Reinhard, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag des Main-Taunus-Kreises. Ein Ausbau egal in welcher Form - bedeute auf jeden Fall eine höhere Lärmbelästigung für die Bevölkerung. "Das ist nicht zu tolerieren", sagte Reinhard. Die Angst vor einer steigenden Zahl von dröhnenden Flugzeugen lässt bereits einige Anwohner die Koffer packen.

"Ich überlege auch, ob ich nicht schnell noch mein Elternhaus in Rüsselsheim verkaufen soll", sagt Waltraud Hof. Doch mit der unsicheren Zukunft des Airports sei es schwer, Käufer zu finden. "Wir erleben bereits eine schleichende Entwertung von Haus und Grundbesitz", berichtet die 68-Jährige. Es gebe Fälle, in denen Häuser, die auf 1,5 Millionen Mark geschätzt wurden, auch für 500 000 Mark keinen neuen Besitzer fänden. Nur wer es sich leisten könne, ziehe weg. Als Folge würden intakte Wohngebiete allmählich verfallen, sagt Hof.

Ganz so schwarz sieht der Vorsitzende der bundesweiten Vereinigung gegen Fluglärm, Prof. Kurt Oeser, die Zukunft des Rhein-Main-Gebietes nicht. "Wir wollen keine weitere Lärmbelästigung für die Region", sagt Pfarrer Oeser, der einer der drei Mediatoren in dem laufenden Verfahren ist. "Wir haben Werte aufgestellt, die ein Fortschritt für den Raum wären", sagt er. Vor allem der Nachtruhe sei eine zentrale Bedeutung zugesprochen worden.

(Trierischer Volksfreund v. 07.12.1999)

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