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Lohnabzug bei Krankheit
Kritik an Arbeitsverhältnissen bei Ryanair

Von Bernd Parusel, Stockholm

Wegen ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse kehren schwedische Flugbegleiterinnen dem Billigflieger Ryanair den Rücken.

"Wir ziehen es vor, mit den Gewerkschaften nichts zu tun zu haben", gibt Eddie Wilson freimütig zu. In einem Zeitungsinterview bezog der Personalbeauftragte von Ryanair dieser Tage Stellung zu schwedischen Presseberichten, in denen die Arbeitsbedingungen bei der irischen Fluglinie scharf kritisiert wurden. "Unser Personal muss härter arbeiten als anderswo", bestätigt Wilson. Das Arbeitsrecht werde jedoch stets eingehalten, und die Kritik an seinem Unternehmen beruhe darauf, dass der größte Billiganbieter Europas eine "alte Industrie erschüttert" habe.

Vom südlich von Stockholm gelegenen, ehemaligen Militärflughafen Skavsta fliegt Ryanair aus Schweden derzeit acht Ziele an, darunter die deutschen Flughäfen Frankfurt-Hahn und Lübeck. Das Unternehmen wirbt mit billigen Tickets, die nur über das Internet oder im Call-Center erworben werden können, traditionellen Fluglinien die Kunden ab. In Schweden wird Ryanair vorgeworfen, seine Niedrigpreise durch rücksichtslose Ausbeutung seines Bordpersonals und seiner Piloten niedrig zu halten.

Ulf Solhall von der Angestelltengewerkschaft HTF sieht bei Ryanair "soziales Dumping" am Werk. Die Personalpolitik sei "völlig inakzeptabel". Um Beispiele ist der Gewerkschafter nicht verlegen. Flugbegleiterinnen bei Ryanair bekämen einen Grundlohn von lediglich rund 650 Euro im Monat, sagt er. Dazu komme ein beweglicher Anteil, der sich danach richtet, wie viele Strecken ein Angestellter pro Monat fliegt und wie viele Waren, Imbisse und Getränke er an Flugpassagiere verkauft. Die Arbeitswoche umfasst sechs Tage, ein Arbeitstag dauert mitunter 12 bis 14 Stunden, Pausen sind nicht vorgesehen. Außerdem müssen Kabinenangestellte bereit sein, innerhalb von zehn Tagen in ein anderes europäisches Land umzuziehen, wenn die Leitung dies verlangt. Müssen Beschäftigte auf Grund von Krankheit der Arbeit fernbleiben, drohten statt Krankengeld Strafen von rund 35 Euro pro Tag, berichtet ein ehemaliger Steward. Call-Center-Angestellten soll fristlos gekündigt werden, wenn sie sich mehr als vier Tage im Jahr krankmelden.

So verwundert es nicht, dass es in Schweden kaum ein Angestellter länger als ein paar Monate bei Ryanair aushält. Von den 20 Beschäftigten, die im Januar die Arbeit aufnahmen, haben inzwischen 16 wieder gekündigt. Als Ersatz rekrutierte das Unternehmen zehn lettische Flugbegleiterinnen.

Arbeitgebervertreter haben an der Personalpolitik des Billigfliegers trotzdem nicht viel auszusetzen. Schwedische Tarifverträge böten Arbeitnehmern einen "unerhörten Überstandard", meint etwa Jonas Bernunger von der Branchenorganisation "flygarbetsgivarna". Demgegenüber betont Gewerkschaftsmann Ulf Solhall, neue Fluggesellschaften könnten ihre Preise auch auf anderem Wege niedrig halten. Die in Göteborg ansässige Billiglinie Fly Me trage normale Personalkosten. Ryanair sei die einzige Fluggesellschaft in Schweden, die sich weigere, mit Gewerkschaften zu verhandeln.

Originalbericht

(Neues Deutschland vom 28.08.2004)

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