Mal sehen, ob wir das für die anstehende Klagen gegen die Startbahnverländerung nicht gebrauchen können |
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Lärm-Gegner siegen vor Gerichtshof für Menschenrechte
Von Peter Nonnenmacher
Weit reichende Folgen für alle größeren Flughäfen Europas könnte ein Straßburger Gerichtsurteil haben, das jetzt das Recht auf ungestörten Schlaf vor das Recht auf nächtliche Flüge setzte: Acht britische Bürger, die am Londoner Flughafen Heathrow wohnen, haben mit einem Sieg vor dem Gerichtshof für Menschenrechte die eigene Regierung zu einer Korrektur der Nachtflug-Praxis gezwungen.
LONDON, 3. Oktober. Die Entscheidung des Gerichts bescheinigt der britischen Regierung, das Menschenrecht der Bürger auf Nachtruhe missachtet zu haben. Sie habe versäumt, "eine faire Balance zwischen der wirtschaftlichen Wohlfahrt des Vereinigten Königreichs und dem effektiven Recht der Kläger auf Respekt für ihre Wohnhäuser, ihre Privatsphäre und ihr Familienleben herzustellen". Das Gericht sprach den Klägern Schadenersatz und die Erstattung von Rechtskosten im Wert von 240 000 Mark zu.
Das Urteil legt die Regierung zwar nicht auf bestimmte Maßnahmen fest, zwingt sie aber zu einer generellen Neubewertung der Nachtflug-Praxis in Heathrow, und wohl auch über Heathrow hinaus. Bisher waren im Zeitraum zwischen 23.30 Uhr und 6 Uhr früh 15 Flüge nach Heathrow erlaubt. Die Flughäfen Manchester (durchschnittlich 28 Flüge), Stansted (30 Flüge) und Gatwick (40 Flüge) liegen sogar noch wesentlich höher.
"Vorübergehend" will nun, wie es am Mittwoch hieß, das Verkehrsministerium die Flüge beibehalten, "bis eine ministerielle Entscheidung getroffen ist". Die erfolgreichen Kläger rechnen aber mit einem Ende des Lärms über ihren Dächern "in 12 bis 18 Monaten". Nach diesem Gerichtsurteil habe die Regierung praktisch keine Alternative, als auf Nachtflüge im Raum Heathrow zu verzichten. Das Urteil belege, dass es "keine vorrangigen nationalen Wirtschaftsinteressen" gebe.
Das Urteil hat nicht nur für Großbritannien Folgen. Mit größtem Interesse haben Anti-Fluglärm-Gruppen überall in Europa den Testfall Heathrow verfolgt und dessen Ausgang bejubelt. Da Heathrow noch mit die striktesten Nachtflug-Bedingungen habe, müssten sich Flughäfen anderswo jetzt auf entsprechenden Druck einstellen, glaubt der Londoner Rechtsexperte Paul Bowden: "Jeder andere Flughafen, jede Behörde und jede Regierung in Europa muss auf dieses Urteil reagieren."
Bei den britischen Flughäfen und Fluggesellschaften, die mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten ringen, löste das Urteil Verwirrung aus. Bei British Airways und dem Flughafen-Betreiber BAA sackten die Aktienwerte ab. Ein BA-Sprecher beteuerte, die Nachtflüge seien "entscheidend für unsere Operationen und für die britische Wirtschaft". Man versuche ja eh schon, "die Störungen so gut es geht auf einem Minimum zu halten".
Die Anti-Fluglärm-Lobby will dagegen sicherstellen, dass die in ihrer Nachtruhe gestörten Londoner - schätzungsweise 350 000 Menschen - nach dem "historischen Urteil" nun auch wirklich Ruhe bekommen.
(Frankfurter Rundschau vom 04.10.2001)