Siebenmarkfünzig

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Fliegen wird wirklich immer billiger / Von Jakob Strobel y Serra

Für sieben Mark fünfzig bekommt man sechs Meter Gartenschlauch oder fünf Taschenlampenbatterien oder vier Tuben Alleskleber oder drei Pfund Butter oder wenn das mit der BSE-Krise so weitergeht - bald zwei ganze Kalbshaxen oder - falls man die Heimat dieses Wahnsinns besuchen will - einen Flug nach London. Das klingt irrwitzig, ist aber die nackte Wahrheit: Für einen Betrag, für den man mit Bahn und Bus gerade einmal ums Dorf kommt und bei dem die Miene jedes Taxifahrers finster wird, verschleudert die irische Billigfluglinie Ryanair auf ihrer Homepage One-Way-Tickets von Deutschland nach England - nicht als Gag, nicht als Last-Minute-Schnnäppchen, sondern als regulären Tarif. Für den Rückflug stellt die Gesellschaft, vorausgesetzt man bleibt mindestens, zwei Nächte auch siebenfünfzig in Rechnung, und wenn man alle unvermeidlichen Steuern und Gebühren hinzurechnet, zahlt man für die kopmlette Passage noch immer lächerliche siebenundachtzig Mark achtzig.

Daß es bei solchen Preisen nicht mit rechten Dingen zugehen kann, muß für einen vernunftbegabten Menschen auf der Hand liegen. Starke Zweifel kommen spätestens in dem Moment auf, in dem man sich auf die Suche nach dem Abflughafen macht, der etwas vollmundig als Frankfurt (Hahn) annonciert wird. Franklurt (Hahn) liegt zwischen Lautzenhausen und Büchenbeuren. das ist zwischen Simmern und Morbach, also irgendwo zwischen Mainz und Trier im Herzen des Hunsrück und im gebührenden Abstand von sämtlichen umliegenden Autobahnen. Das letzte Stück des Weges legt man auf kurvenreichen Landstraßen durch finstere Wälder und leblose Dörfer zurück, wobei vor allem bei Dunkelheit schnell Ungeduld und Unsicherheit wachsen. An einem gewissen Punkt - jeder kennt dieses Gefühl - ist man dann der festen Überzeugung, am Ziel vorbeigefahren zu sein, denkt an Umkehr und sucht vergebens Menschen. die man um Auskunft bitten könnte. Doch dann redet man sich ein, daß man den Frankfurter (Hahn) Flughafen nicht einfach übersehen kann, und fährt tapfer weiter.

Luftverkehr im Hunsrück

Das ist eine kluge Entscheidung, denn plötzlich taucht der Flughafen als helle Gloriole aus der rabenschwarzen Hunsrücker Nacht auf. Mächtige Scheinwerfer auf haushohen Masten werfen ein eigentümliches, zugleich gleißendes und fahles Licht auf fußballfeldgroße Parkplätze, das unwillkürlich die Erinnerung an die einstigen Grenzübergänge an den Transitautobahnen durch die DDR wachruft. Im Halbdunkel erkennt man schemenhaft unbehauste Baracken und andere aufgegebene Militärgebäude, die mit ihrer geduckten, grimmigen Architektur nicht gerade die Beklemmung bekämpfen. Dann erkennt man weit hinten auf einer Anhöhe am Horizont als Verheißung menschlichen Lebens eine strahlend weiße Mischung aus Mehrzweck- und Fabrikhalle:
Es ist das Passagierterminal.
Früher, als noch die amerikanische Armee die Vorteile der diskreten Abgeschiedenheit Hahns nutzte, war hier viel mehr los. Auf der Landepiste herrschte ein reges Kommen und Gehen, und in Lautzenhausen gab es kaum eine Scheune, die nicht zu einer Bar für die Soldaten umgebaut worden wäre. Dann aber ging es mit der Sowjetunion und dem Ost-West-Konflikt bergab. Die Amerikaner packten zusammen, um sich anderswo um allerhand Schurkenstaaten zu kümmern. Der Flughafen freilich wurde nicht eingemottet, sondern hat eine stürmische zivile Karriere gemacht, seit er 1993 für den Passagierverkehr freigegeben wurde. Im vergangenen Jahr zählte man fast vierhunderttausend Fluggäste, eine Steigerung um zweihundertsiebzig Prozent im Vergleich zu den vorangegangenen zwölf Monaten, und in diesem Jahr rechnet man schon mit sechshunderttausend Passagieren. Inzwischen gibt es neben dem sommerlichen Charterbetrieb auch tägliche Linienverbindungen nach London, Glasgow und Shannon sowie zweimal die Woche nach Arvidsjaur in Schwedisch-Lappland. Am stolzesten ist man aber darauf, daß Hahn mittlerweile der achtundsiebziggrößte Frachtflughafen der ganzen Welt ist und von veritablen Jumbo-Jets angeflogen wird.

Das Hunsrücker Luftkreuz, das im Gegensatz zu den meisten seiner Konkurrenten niemandes Nachtruhe respektieren muß, hat alles, was einen richtigen Flughafen ausmacht. Es gibt eine Handvoll Check-in-Schalter, drei Abflugsteige, eine Paßkontrolle, ein Gepäckband, eine Kinderspielecke und selbst einen DutyFree-Shop. Vier international tätige Autovermieter sind in dem turnhallengroBen Terminal vertreten, außerdem die örtliche Volksbank, ein Zeitschriftenkiosk mit Post-Agentur, ein Cafe im Stil der Eisdielen in deutschen Kleinstädten und ein paar Last-Minute-Anbieter, die zwei Wochen Türkei für 685 Mark verramschen. Für internationales Flair sorgen weiterhin eine Glasvitrine mit Flughafenandenken - etwa dem Brettspiel "Hahnopoly" oder Kaffeetassen mit dem subtil-ironischen Aufdruck "Nigthmare at German Airport" - und vor dem Abfertigungsgebäude ein großes zweisprachiges Werbeplakat der Gemeinde Sohren City, auf dem unter anderen das Autohaus Bolte und das Bräunungsstudio Sonnenoase ihre Dienste anbieten. Heimatverbundenheit wiederum wird mit der lehrreichen Fotoausstellung "Konversion der ehemals militärisch genutzten Flächen in Rheinland-Pfalz" demonstriert, und für eine menschliche Note sorgen Aushänge wie derjenige der Familie Liesenfeld, die ihren Hund ("Internationale Championsabstammung, Weltsieger") loswerden will.

Nichts ist unangebrachter als Spott und Häme über Hahn, denn der Miniaturflughafen bietet dem Luftreisenden von heute eine Menge hocheinzuschätzender Vorteile. Die Passagiere müssen keine langen Wege zurücklegen und die Maschinen keine Warteschleifen drehen. Kinder und Gepäckstücke gehen nicht verloren, das Parken kostet nichts und die Halbliterdose Bier in der Flughafen-Eisdiele soviel wie in den umliegenden Dorfkneipen. Und wenn man im nördlichen Rheinland-Pfalz, in der östlichen Eifel oder im südlichen Westerwald wohnt, ist Hahn um die Ecke; man hört im Terminal allerdings auch viel Schwäbisch und sieht dort außerdem ein breitgefächertes Publikum von Geschäftsleuten in Anzug und Krawatte über halbwüchsige Rucksackreisende auf großer Tour bis zu englischen Handwerkern in farbverschmierter Arbeitskleidung. Der größte Vorteil von Hahn aber ist - zumindest bei Flügen nach London mit den irischen Preisbrechern - die phänomenal schnelle Abfertigung.

Das, was anderswo oft zur Nervenprobe wird, dauert bei den Iren nur ein paar Sekunden, weil sie - was Wunder bei solchen Tarifen - sparen müssen, wo sie nur können. Deswegen bekommt man weder ein Ticket noch eine Bordkarte oder einen reservierten Sitzplatz. Es reicht, einen Ausdruck der Internet-Buchung und den Personalausweis vorzuzeigen, um in einer Liste abgehakt und mit einer Plastiktransitkarte ausgestattet zu werden, die man beim Einsteigen wieder abgibt. In der Maschine kann man sich dann hinsetzen, wo man will, und das funktioniert so reibungslos und fix, daß man sich fragt, wozu andere Fluggesellschaften sich die zeitraubende Mühe mit festen Platzreservierungen machen.

Uberhaupt setzt sich das Mysterium der sieben Mark fünfzig im Flugzeug fort. Es handelt sich um das nagelneue Modell eines renommierten amerikanisehen Herstellers, in dem es weder Stehplätze noch Holzbänke gibt, sondern die vertrauten Sitze im gewohnt knappen Abstand. Alles macht einen passablen Eindruck, es regnet nicht durchs Dach, von der Decke hängen keine nackten Glühbirnnen, und die Benutzung der Toiletten ist gratis. Essen und Getränke bekommt man allerdings nicht umsonst. Eine Mahlzeit mit Aperitif und Digestif kostet fast soviel wie der gesamte Flug inklusive Steuern, aber man kann sich ja sein eigenes Pausenbrot mitbringen. Und selbst die durch das Bordmagazin - einem einzigen Verkaufskatalog - genährte Befürchtung, die fehlende Fluchtmöglichkeit der Passagiere könnte ähnlich wie bei dubiosen Kaffeefahrten ausgenutzt werden, um überteuerte Heizdecken loszuschlagen, erweist sich als unbegründet. Das Personal zeigt ganz im Gegenteil kein nennenswertes Engagement beim Bordverkauf.

Preiskrieger in London

Die Entsprechung zu Frankfurt (Hahn) ist London (Stansted), eine Art Zentralflughafen der billigen Jakobs am europäischen Himmel. Immerhin wurde der Terminal dort von Sir Norman Foster entworfen. Von hier aus kann man fast überallhin fliegen in Europa, was in vielen Fällen etwa solange dauert und so viel kostet, wie es Zeit und Geld verlangt, um in die Londoner Innenstadt zu gelangen. Und während man in knapp einer Stunde Fahrzeit in einem heruntergekommenen S-Bahn-Zug für umgerechnet mehr als vierzig Mark pro Strecke der Liverpool Street Station engegenrumpelt, hat man genügend Zeit, um sich zu sagen, daß man schon Schlimmeres im Luftverkehr erlebt hat, oder auch nur, um ein schlechtes Gewissen zu haben, oder aber um über Sinn, Unsinn und Widersinn von Siebenmarkfünfzigtickets nachzudenken: über den Aberwitz solcher Kampfpreise und den Sirenengesang dieser unmoralischen Lockangebote, denen man doch nicht widersteht, über den entfesselten Wettbewerb, die Kapriolen der Marktwirtschaft und darüber, daß die Iren, der Platzhirsch unter den europäischen Billigluftlinien, anscheinend sogar Geld verdienen. Doch schließlich muß man sich eingestehen, daß sich die Logik des Fliegens für einen Spottpreis in einem fünfzig Millionen Mark teuren Flugzeug der eigenen Vorstellungskraft entzieht. Und wenn man es nicht selbst gemacht hätte, dann glaubte man es bis heute nicht.

(Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.03.2001)

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