Angesichts der Subventionen aus Charleroi stellt sich immer dringender die Frage, was Ryanair am Flugplatz Hahn alles so nebenbei erhält

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Steuergelder für Billigflieger
EU-Kommission ermittelt wegen verdeckter Subventionen an Ryanair / Praktiken von Provinzflughäfen auf dem Prüfstand

Alois Berger

BRÜSSEL, 28. Oktober, "No frills" - kein Schnickschnack, so beschreiben die Billiglinien gern ihr Erfolgsrezept. Aber offensichtlich ist es nicht nur der Verzicht auf das Bordmenü, der das Ticket so günstig macht. Die Billigflieger erhalten vor allem von Provinzflughäfen alle möglichen Vergünstigungen. Die irische Fluggesellschaft Ryanair beispielsweise verlangt sogar Geld, damit sie dort überhaupt landet. Steuergeld, denn die Flughäfen gehören in der Regel der öffentlichen Hand oder werden von ihr bezuschusst.

Geheimvertrag mit Charleroi

Aufgefallen ist diese Praxis unter anderem am Flughafen in Charleroi, rund 70 Kilometer südlich von Brüssel. Die EU-Kommission, darauf aufmerksam gemacht, begann nun nachzuforschen und stieß auf einen Geheimvertrag zwischen der Flughafengesellschaft Charleroi und der irischen Billigfluglinie Ryanair. Danach stellt der Flughafen nicht nur alle Räumlichkeiten gratis zur Verfügung, verlangt nur die halben Landegebühren und ein Zehntel der üblichen Abfertigungskosten. Charleroi zahlt jährlich auch noch 250 000 Euro für die Hotelübernachtungen der Ryanair-Crews, 768 000 Euro für die Ausbildung der Piloten und Stewardessen, 160 000 Euro für jede neue Linie, die Ryanair von Charleroi aus eröffnet und übernimmt auch Ryanairs Werbekosten in und um Charleroi in Höhe von 1,4 Millionen Euro. Eine besonders heikle Klausel verpflichtet den Flughafen sogar, eventuell anfallende Verluste von Ryanair zu übernehmen. Da der Flughafen Charleroi zu 100 Prozent im Besitz der Region Wallonien ist, kommt für sämtliche Zuschüsse der belgische Steuerzahler auf.

Die EU-Kommission will in den nächsten Wochen entscheiden, ob Ryanair das Geld zurückzahlen muss. "Keine Fluggesellschaft hat ein Recht auf versteckte Staatsbeihilfen oder sonstige Subventionen," sagt Gilles Gantelet, verkehrpolitischer Sprecher der EU-Kommission. Die Entscheidung könnte auch Auswirkungen auf einige deutsche Flughäfen haben. Neben Berlin-Schönefeld fliegt Ryanair noch sechs weitere deutsche Flugplätze an, die meist etwas abgelegen sind wie das 130 Kilometer von Frankfurt am Main entfernte Hahn. "Wenn wir Hinweise bekommen, dass Ryanair auch in Deutschland öffentliche Beihilfen abschöpft," sagt der EU-Sprecher, "dann werden wir auch dort Verfahren eröffnen".

Druck auf kleine Airports

Offiziell bestreiten die deutschen Flughafengesellschaften, Ryanair zu subventionieren und räumen lediglich "besondere Bedingungen" und "Vergünstigungen" ein. Hinter vorgehaltener Hand aber erzählen einige Airportmanager von ähnlichen Praktiken wie in Charleroi - bei der Konkurrenz natürlich. Laut sagen will das trotzdem keiner, weil Flughäfen und Kommunen mit den Billigfliegern auch Arbeitsplätze und zahlende Gäste in die Regionen holen. Einig ist man sich in der Branche allerdings, dass keine Low-cost-Airline so hart hinlangt und die Situation der kleinen Flugplätze so skrupellos ausnutzt wie Ryanair. Vor kurzem etwa scheiterten die Gespräche mit dem Köln-Bonner-Flughafen. Bei Nachfragen bleiben kaum Zweifel, dass die Flughafengesellschaft einfach nicht bereit war und es auch nicht nötig hatte, die finanziellen Forderungen von Ryanair zu akzeptieren. "Was Ryanair macht, ist Kannibalismus", wettert ein Flughafenmanager, der anonym bleiben will. Er hoffe, dass die EU-Kommission das Treiben endlich stoppe. Alle Flughäfen würden lieber wie früher Landegebühren verlangen, als Steuergelder an Ryanair weiterzureichen. Doch wenn einige zahlten, müssten auch die anderen das Spiel mitspielen.

Als ein französisches Handelsgericht dem Straßburger Flughafen vor einigen Wochen die Subventionen untersagte, hat Ryanair Straßburg sofort aus dem Flugplan gestrichen. Die Botschaft hat man in Charleroi verstanden und kämpft nun darum, Ryanair weiter bezuschussen zu dürfen. Denn Charleroi hat sonst nicht viel zu bieten: Die Schwerindustrie ist im Niedergang, die Arbeitslosigkeit bei über 20 Prozent. Ryanair ist zum Hoffnungsträger der ganzen Region geworden: 20 Flüge täglich, knapp eine Million Passagiere pro Jahr. "Allein am Flughafen sind 500 Arbeitsplätze entstanden", schwärmt Bürgermeister Jacques Van Gompel.

Kommissionssprecher Gantelet räumt ein, dass die europäischen Vorschriften Spielraum für Interpretationen ließen: "Wir werden mit der Entscheidung über Charleroi grundsätzlich klären müssen, was erlaubt ist und was nicht."

Originalbericht

(Berliner Zeitung vom 29.10.2003)

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