Der Artikel zeigt, dass es mit den zur Verfügung stehenden Zahlen möglich ist, weitergehende Analysen zum Thema Flugplatz Hahn und Ryanair mit teilweise überraschenden Ergebnissen durchzuführen.

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Sind absolute Passagierzahlen und prozentuale Steigerungsraten im hohen zweistelligen Bereich ein Indikator für wirtschaftlichen Erfolg und lassen sich daraus gute Zukunftschancen ableiten?

Die Flughafengesellschaft des Flughafens Frankfurt/Hahn hat stolz die Passagierzahlen für die ersten drei Quartale des Jahres 2003 veröffentlicht.


1.782 385 Passagiere insgesamt, Ergebnis des Vorjahres: + 71 Prozent
1.750.952 bei den Linienfluggesellschaften, Ergebnis des Vorjahres: + 74 Prozent


Ryanair hat ebenfalls Zahlen veröffentlicht. Sie meldet, dass die Auslastung der am Hahn startenden und landenden Maschinen mit 84 Prozent sogar einen Prozentpunkt über dem durchschnittlichen Sitzladefaktor im Konzern liegt.


Einem Flugplatz im Hunsrück, der sich "Frankfurt-Hahn" nennt und tatsächlich ca. 138 km entfernt von Frankfurt-Stadtzentrum entfernt liegt, muss sich gefallen lassen, dass seine Veröffentlichungen besonders genau unter die Lupe genommen werden. Noch viel mehr gilt dies für eine Fluggesellschaft wie Ryanair. Diese bezeichnet sich zwar gerne als der "Einzig wahre Billigflieger" und als "Anwalt des armen Fluggastes", in Wirklichkeit läßt sie sich aber gerne die Differenz zwischen Normal- und Billigpreis von Dritten erstatten.

Also, rechne ich mal mit den mir zur Verfügung stehenden Daten die präsentierten Erfolgsbotschaften nach.
Alles nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!


Die Grundlagen


  1. Ca. 32.000 Passagiere sind mit Charter/Ad-Hoc oder Taxifliegern geflogen. Dies scheint die maximale Menge dessen darzustellen, was der Flugplatz Hahn an Kunden in diesem Marktsegment gewinnen kann. Diese Quote ist seit ca. 1996 relativ konstant geblieben. Hierbei dürfte es sich um die Menge handeln, die es mit einer Mallorca-Route im Sommer, ein paar Flügen in der Vor- und Nachsaison in die Türkei, zu irgendwelchen wechselnden anderen Urlaubszielen und z.B. von Frankfurt/Main nach Frankfurt/Hahn abgeschobenen Messeflügen zu erzielen ist.

  2. Linienfluggesellschaften in Frankfurt/Hahn sind Ryanair und Volareweb.
    Laut Südwesttext, Seite 530/531, flog Ryanair in den ersten neun Monaten dieses Jahres mit Ausnahme von Samstagen und Sonntagen jeden Tag 25 mal den Flugplatz Frankfurt/Hahn an und auch wieder davon. An den Samstagen waren es 24 Flugpaare und an den meisten Sonntagen nur 23. Dies ergibt im Wochendurchschnitt ca. 24,15 Flugpaare täglich.

  3. Ryanair setzt am Hahn die Boeing B 737-800 mit 189 Sitzplätzen ein. In ganz seltenen Fällen kann auch noch eine Boeing B 737-200 mit ca. 140 Sitzplätzen zum Einsatz gekommen sein.

  4. Volareweb flog den Hahn in der Zeit vom 01.04.2003 bis zum 30.09.2003 mit einem Airbus A 320 mit ca. 145 Sitzplätzen 1 mal am Tag an, im April und Mai 2003 manchmal auch zweimal. Die Flüge von Volareweb haben ich in Unkenntnis der genauen Werte sehr konservativ mit ca. 75 Passagieren je Flug = ca. 27.000 Passagiere angesetzt und aus den Linienpassagierzahlen herausgerechnet.
    Demzufolge hat Ryanair ca. 1725.000 Passagiere von und zum Flugplatz Frankfurt/Hahn transportiert.

  5. Die Monate Januar bis September haben insgesamt 273 Tage.



Nachgerechnet I

Aus diesen Daten ermittelt sich für die Zeit vom 01.01. - 30.09.2003 über nachfolgende Rechnung die mögliche Passagierzahl und die Auslastungsquote/Sitzladefaktor für die Flüge von Ryanair:

  1. Durchschnittlich 24,15 Flugverbindungen täglich x 2 (je 1 Anflug + 1 Abflug) = 48,3 Flüge/Tag

  2. 48,3 Flüge/Tag x 189 mögliche Passagiere/Flug = mögliche 9.128 Passagiere/Tag

  3. mögliche 9.128 Passagiere/Tag x 273 Tage = mögliche 2.491.944 Passagiere

  4. 1.725.000 Passagiere im Verhältnis zu 2.491.944 möglichen Passagieren = 69,22 Prozent Auslastung.

84 Prozent ./. 69,22 Prozent = ca. 15 Prozentpunkte Differenz.



Also irgendwie dürfte das nicht sein, oder doch?
Wo liegt der Rechenfehler?
Habe ich einen Denkfehler begangen?
Ist alles was ich in Ausbildung und Studium über Kapazitätsberechnungen gelernt und im Beruf erfolgreich angewendet habe, falsch?

Ich kann mir einfach nicht erklären, warum meine Zahlen, die ich nach logischen Gesichtspunkten, bekannten Rechenmethoden und mit in der Industrie üblichen Verfahren ermittelt habe und die in der Öffentlichkeit propagierten Zahlen so weit auseinanderliegen.

Spaßhalber habe ich wohlüberlegt spontan sogar daran gedacht, dass am Flugplatz Frankfurt/Hahn beschäftigte "Bürger für Hahn" mit der Ermittlung der Hahner Auslastungsquote beauftragt sind. Vielleicht sind es dieselben Cracks, die 1992 bei einer in eigener Regie durchgeführten Befragung durch das Votum von 638 Hunsrücker Bürgern und Bürgerinnen ja auch ermitteln konnten, dass über 80 Prozent der Hunsrücker Bevölkerung für uneingeschränkten Nachtflug mit 60 nächtlichen Flugbewegungen sind.

Also, irgendwie habe ich den Eindruck, dass "80 Prozent" im Zusammenhang mit dem Flugplatz Hahn eine tiefere, geradezu mystische Bedeutung hat.



Nachgerechnet II

Spaß beiseite, zurück zu den Fakten. Widmen wir uns der vom Flugplatz Hahn gemeldeten Steigerungsquote bei den Passagierzahlen von 74 Prozent und der von Ryanair gemeldeten Auslastungsquote von 84 Prozent.

  1. Wenn ich die Flugpläne des vergangenen Jahres auswerte, komme ich für die ersten drei Quartale im Schnitt auf ca. 12,2 tägliche Abflüge. Dem standen ca. 1.000.000 Fluggäste gegenüber, was damals zu einem Sitzladefaktor von, man mag es kaum glauben, 80 Prozent führte.

  2. 2003 wurde die Kapazität von durchschnittlich 12,2 auf 24,15 Flugpaare täglich fast mehr als verdoppelt. Konkret eine Steigerung von ca. 98 Prozent.

Wie kann denn bei einer Kapazitätserhöhung von ca. 98 Prozent und nur 74 Prozent Steigerung bei den Passagierzahlen die Auslastungsquote auch noch von 80 auf 84 Prozent steigen?

Da müssen selbst die (gut)gläubigsten und eifrigsten Hahnverfechter einsehen, dass das nicht sein kann.



Massiver Rückgang der Auslastung


Es ist offensichtlich, dass die Auslastung von Ryanairflügen am Flugplatz Frankfurt/Hahn massiv zurückgegangen ist.



Ursachen des Rückganges


Ich ziehe aus der geringeren Auslastung den Schluß, dass:

Der "Markt" für den Flugplatz Frankfurt/Hahn und Ryanair am Flugplatz Frankfurt/Hahn hat sich im Jahr 2003 gravierend verändert. Das noch fast ganzjährig im Jahr 2002 für Deutschland bestehende "Billigflugmonopol" von Ryanair und dem Flugplatz Franfkurt/Hahn wurde aufgebrochen, seitdem verliert Ryanair ständig Marktanteile.

Dies ist für den Flugplatz Frankfurt/Hahn und Ryanair um so bedenklicher, als dass Ryanair für die neuen Hahner Strecken auch noch neue Flugzeuge anschaffen mußte. Stichwort: "sprungfixe Kosten". Parallel dazu mußte der "Durchschnittspreis je Flugschein" um ca. 12 Prozent deutlich nach unten gesenkt werden, was wiederum gravierende Auswirkungen auf die Erlöse gehabt haben dürfte.
Allerdings scheinen selbst die gesunkenen Preise nicht für ausreichende Nachfrage gesorgt zu haben. Wie sonst läßt sich erklären, dass in den ersten neun Monaten fast 1.000.000 Freiflüge angeboten wurden. Und außerhalb der ausgiebigen Freiflugperioden reihte sich eine Sonderpreisaktion an die andere. Ich bin sicher, dass ohne diese Maßnahmen die Auslastungsquote von Ryanair am Flugplatz Frankfurt/Hahn noch massiver in den Keller gerutscht wäre.

Auf weitergehende Analysen verzichte ich an dieser Stelle. Wen es interessiert, einschlägige Werke der Betriebswirtschaftslehre (Wöhe, Schierenbeck u.s.w.) beschreiben in allgemeiner Form genau die Situation des Flugplatzes Hahn und des dortigen Angebotes von Ryanair. Als Stichworte empfehle ich: Angebot und Nachfrage, Preisbildung, Standortfaktoren, Durchschnittspreise, Marktsättigung, Verdrängungswettbewerb, sprungfixe Kosten, Kundenstruktur, Modetrends und besonders Kostenremanenz sowie Opportunitätskosten.



Die Konkurrenz wächst und wächst


Es besteht für mich kein Zweifel daran, dass die zunehmende Konkurrenz von anderen Billigfliegern, vorrangig von German Wings und Hapag Lloyd Express in Köln-Bonn nachhaltig auf die Nachfrage nach Ryanairflügen vom Flugplatz Hahn drückt.
In Köln-Bonn verdoppelt sich im nächsten Jahr das Angebot an Billigflügen. Die Streckenkonkurrenz für Ryanair wird demzufolge kräftig zunehmen. Das 2003 noch bestehende Quasi "Nordeuropa-Billigflug-Monopol" von Ryanair soll von Köln-Bonn aus geknackt werden. Die Mittelmeerziele von Ryanair werden ebenfalls heftigste Konkurrenz bekommen.
Und mit Easyjet drängt ein brandgefährlicher Konkurrent auf den deutschen Markt, der, wenn auch nicht sofort, zumindest aber mittelfristig Ryanair richtig dicke Schwierigkeiten auf den Strecken nach Großbritannien und Irland machen könnte. Den Billigflieger-Superstandort Berlin-Schönefeld hat sie Ryanair schon vor der Nase weggeschnappt.

Mit den Flughäfen Stuttgart, Düsseldorf, Hannover, Berlin-Schönefeld, Hamburg, Nürnberg und München sind inzwischen fast alle deutschen internationalen Verkehrsflughäfen in den Billigfliegermarkt eingestiegen bzw. werden in den nächsten Monaten einsteigen. Auch die Regionalflughäfen können sich diesem Trend nicht entziehen. So sind bspw. auf dem Baden-Airport in Söllingen, dem Flughafen Niederrhein in Weeze-Laarbruch und Altenburg bereits weitere Billigfliegerdomizile entstanden. Auch hier stehen bundesweit weitere Flughäfen in den Startlöchern.
Große Fluggesellschaften wie Deutsche Lufthansa, BAA, Air Lingus, Alitalia usw. bieten verstärkt, teilweise auch vom Flughafen Frankfurt, bereits Flüge zu absolut konkurrenzfähigen Preisen zu den verschiedensten Destinationen an.

Es gibt inzwischen mit Ausnahme der "Nordeuropastrecken" zu fast allen von Ryanair am Flugplatz Hahn angebotenen Strecken vergleichbare Alternativangebote.



Die Zukunftsaussichten


Bereits jetzt und noch stärker im neuen Jahr, wird es also kaum jemand noch nötig haben, für einen Billigflug extra über Hunderte von Kilometern auf den Hahn zu reisen. Nur noch bei "Flügen zum Nulltarif", bei zeitlichen Präferenzen und Monopolstrecken wird es sich bei einer Gesamtkostenbetrachtung unter Einbeziehung von Fahrtzeit und Anreisekosten lohnen, nicht vom Heimatairport zu fliegen.


Die Analyse hat gezeigt, dass weder die absoluten Passagierzahlen noch die hohen prozentualen Steigerungsraten ein Indikator für wirtschaftlichen Erfolg darstellen. Noch weniger sind sie ein Garant für gute zukünftige Entwicklungen. Vielmehr rufen sie i.d.R. eine Vielzahl von Konkurrenten auf den Plan, die sich gerne ein großes Stück vom Billigfliegerkuchen abschneiden wollen. Wenn diese Konkurrenten allerdings dann auch noch bessere Standortfaktoren aufzuweisen haben, wird's kritisch.



Schluss mit den "Flöhen im Ohr"


Die Flughafenbetreiber wären angesichts der schon bestehenden Schwierigkeiten bei der Auslastung und der äußerst bedrohlichen Konkurrenzsituation gut beraten, die Euphorie bei den hahnhörigen Politikern und den gutgläubigen Teilen der Bevölkerung zu bremsen und ihnen keine weiteren Flöhe ins Ohr zu setzen.

Jeder ernsthafte Investor wird sich angesichts der sich abzeichnenden Entwicklung genau überlegen müssen, ob er noch einen einzigen Euro in dieses Projekt investieren wird. Nur die öffentliche Hand und die zu 75,1 Prozent in öffentlicher Hand befindliche "Fraport AG" haben damit kein Problem.
Warum wohl?, Vielleicht, weil es nicht von "ihrem" geht?

Olaf Simon, Altlay